Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
vereinbart haben. Sie sind zu ihm hin, angeblich
um ihm einen Auftrag zu erteilen. Dann haben Sie
ihn mit einem Kopfschuß fertiggemacht und ihm
den Schlüssel vom Schließfach in die Tasche ge-
steckt, damit die Polizei ihn da findet.“
Ein Zittern geht von seinen Fußsohlen aus,
kriecht durch seine Waden, erfaßt seine Ober-
schenkel und rüttelt an seinen Schultern. Der ganze Mann ist ein einziger fiebriger Schüttelfrost, ein
unkontrolliert zuckendes, zischendes Häuflein
Fleisch.
„Sie dachten, Sie könnten uns den Blick verstel-
len mit Ihrem Berg an Beweismaterial. Hätte
durchaus klappen können. Hat aber nicht geklappt.
Ist die Ratte noch so häßlich, Monsieur Kaak, die Kröte ist darum nicht weniger gräßlich, und wenn
Sie den Affen auch in Seide kleiden, so ist’s und
bleibt es doch ein Aff.“
Er steht schwankend auf, kreideweiß von Kopf
bis Fuß. Er klammert sich ans Geländer, um nicht
zu Boden zu sinken.
Er holt in den tiefsten Tiefen seines Zwerchfells
Luft und quetscht mit bebender Stimme hervor:
„Meine Mutter sagte immer, je mehr man sich fürs
kleinste Detail umbringt, umso eher bringt einen
das kleinste Detail um.“
„Ihre Mutter war eine Dichterin, Monsieur
Kaak.“
„Ich ziehe mich schnell um, dann gehöre ich Ih-
nen.“
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„Ich bitte Sie.“
Sein Blick ist schon nicht mehr von dieser Welt.
Er dreht sich taumelnd um, die Augäpfel völlig
verdreht, wankt durch die Stelen seines
Wohlstands, die Arme weit ausgestreckt, stößt eine
ausgestopfte Gazelle um, findet den Weg in seinem
eigenen Haus nicht mehr. Er betritt sein Schlaf-
zimmer, als wär’s der Vorhof zur Hölle …
Als der Schuß losging, war ich längst unterwegs
zum Strand.
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Die Aufgabe des Schriftstellers ist es, das Gewis-
sen der Menschen wachzurütteln …
Nachwort von Beate Burtscher-Bechter und Interview mit Yasmina Khadra
Als Algerien 1962 nach mehr als sieben Jahren Befreiungs-krieg gegen die Kolonialmacht Frankreich seine Unabhängigkeit erlangte, waren die Erwartungen der algerischen Be-völkerung groß. In den folgenden Jahrzehnten erfüllten sich die Hoffnungen jedoch nicht, und die Versprechungen der führenden Köpfe des FNL ( Front de libération nationale –
Nationale Befreiungsfront), der algerischen Einheitspartei, wurden nie eingelöst. Rund dreißig Jahre Alleinherrschaft des FNL und eine pseudosozialistische Politik ließen Ende der achtziger Jahre ein Land zurück, das politisch, wirtschaftlich und sozial einem Scherbenhaufen glich.
Im Oktober 1988 entlud sich der aufgestaute Zorn der Bevölkerung in einem spontanen Aufstand. Die Algerier protestier-ten gegen Korruption und Mißwirtschaft der Regierung, ver-langten politische und wirtschaftliche Reformen und forder-ten Freiheit und Demokratie. Damit wurde ein Prozeß einge-leitet, der eine Liberalisierung des Parteiensystems nach sich zog und zu einer Legalisierung des bis dahin verbotenen FIS
( Front islamique du salut – Islamische Heilsfront) führte. Der überlegene Wahlsieg dieser neuen Oppositionspartei bei den Kommunalwahlen des Jahres 1990 und der hohe Stimmenan-teil im ersten Wahlgang bei den Parlamentswahlen 1991
brachten die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit dem immer noch regierenden FLN und seinem korrupten Beamtenapparat erneut zum Ausdruck. In der Folge wurde Staatschef Chadli Bendjedid im Jänner 1992 von der Armee zum Abdanken gezwungen. Der zweite Durchgang der Parlamentswahlen wurde annulliert, der Ausnahmezustand über das Land verhängt und kurz darauf der FIS als Partei verboten.
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In den Sommermonaten des Jahres 1992 erschütterte eine Welle von Terroranschlägen das Land, die in blutige Auseinandersetzungen zwischen militanten Anhängern des FIS und der Armee und schließlich in einen Bürgerkrieg mündete.
Unter General Liamine Zéraoual, der seit 1994 an der Spitze des Staates stand, erreichten der blindwütende Terror und die Kämpfe zwischen den Islamisten und den regierenden Militärs 1998 und 1999 einen traurigen Höhepunkt. Mit seinem Aufruf zur nationalen Aussöhnung und der Begnadigung Tausender Islamisten ließ der im April 1999 neu gewählte Präsident Abdelaziz Bouteflika Hoffnung auf ein baldiges Ende des Bürgerkriegs aufkommen. Ob sie sich erfüllen wird, ist freilich noch nicht absehbar.
Es sind die Hintergründe der blutigen Tragödie Algeriens, die Yasmina Khadra im vorliegenden Roman bzw. den drei Bänden der
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