Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
bis zum Schafott auf mich.
Auf dem Gang stellt sich mir eine Art Gefängniswärterin mit Hijab [Arabisch: »Schleier, Kopfbedeckung« - Das traditionelle Gewand der iranischen Frauen hat in den letzten Jahren durch die Islamisten als Ausdruck starker Religiosität auch Einzug in Algerien gehalten, wo es im Gegensatz zur Vielfalt der regionalen Trachten steht.] und Brüsten groß wie Airbags in den Weg, kontrolliert meine Papiere und schiebt mich unsanft bis zum Chef des Sekretariats vor sich her. Der verstaut, als er mich kommen sieht, flugs etwas in seiner Schublade. Erst als er merkt, daß mein verschlissener Anzug nicht eben der Kleiderordnung der hohen Tiere entspricht, kehrt wieder Frieden in sein Habichtsgesicht ein. Mit einem Fingerzeig verabschiedet er meine Wärterin und weist mir einen Platz auf einem Metallstuhl an, der speziell für zufällig des Weges kommende Underdogs dasteht.
»Sie haben sich verspätet, Monsieur Llob.«
»Wie die ganze Nation.«
Er findet meinen Vergleich nicht sehr komisch und macht sich daran, in ein Heft zu kritzeln, um mir weiszumachen, hier werde schwer geschuftet.
Ich greife nach meinen Zigaretten. Sofort zeigt er auf ein Rauchverbotsschild. Ich füge mich und verschiebe die Luftverschmutzung auf später.
Der gute Mann hört auf zu kritzeln und lehnt sich zurück, um sein Geschreibsel in Augenschein zu nehmen. Zufrieden beugt er sich wieder vor und versenkt sich erneut in seine Hieroglyphen, wobei er bei jedem Großbuchstaben die Zunge in den Mundwinkel klemmt.
Allmählich wird mir die Zeit lang. Ich wende meine Aufmerksamkeit den Möbeln zu. In der Ecke ein Tresor, ein durchgesessenes Sofa neben einer vorhanglosen Fenstertür, ein chinesischer Aschenbecher auf einem Beistelltisch und an der Wand - vermutlich ein Familienporträt -, ein angestaubtes Stilleben mit Birnenkorb.
»Hat Monsieur Salem Besuch?«
Ohne den Kopf zu heben, deutet er mit der Bleistiftspitze auf die Wanduhr. Es ist dreizehn Uhr dreißig.
»Ach, er ist noch nicht da?«
Sein Stift schwenkt herum und weist mich auf ein rotes Lämpchen links über der Polstertür hin.
»Würd’s Ihnen was ausmachen, mir ein Licht aufgehen zu lassen?«
»Es ist die Stunde des Dohr, Monsieur Llob. Monsieur Salem verrichtet sein Gebet.«
Meine Zudringlichkeit hat seinen Inspirationsfluß gehemmt. Er liest seinen Text, findet nicht mehr in den alten Schwung zurück, reißt das Blatt heraus, zerknüllt es und befördert es in einen überraschend leeren Papierkorb.
Feindseliges Schweigen macht sich zwischen uns breit. Zwei Minuten später fällt ihm seine Schublade wieder ein, er holt eine Tasse Kaffee daraus hervor, stellt sie vor sich hin und entdeckt eine kleine Küchenschabe in der braunen Brühe. Gelassen taucht er einen Finger zur Rettung des Tierchens hinein und schnipst es kraftvoll einmal quer durch den Raum.
Das Licht wechselt von Rot auf Grün. Ohne die geringste Eile an den Tag zu legen, drückt der Sekretär auf einen Knopf und kündigt mich an.
»Lassen Sie ihn herein.«
Hadi Salem sitzt im Schneidersitz auf seiner Gebetsmatte, ähnlich einem Frosch auf seinem seegrünen Blatt. Er hat alles so inszeniert, daß ich ihn mitten in seiner falschfrommen Gymnastik überrasche. Aber mich bewegt allein die Frage, wie er es angestellt hat, zu seinem Schreibtisch zu kommen, das Licht auf Grün umzuschalten und ins Interphon zu sprechen, ohne sich aus seiner Rumpfbeuge zu erheben. Ich muß mich gedulden, bis er mit seinem Gemurmel fertig ist.
»Ich werde dir die Nase langziehen, bis deine Ohren im Kopf verschwunden sind!« ruft er beim Aufstehen.
Und schon springt er mich an, um mich demonstrativ zu umarmen. »Du Oberschlawiner!« jubelt er. »Immer muß er seinen Rüssel in Dinge stecken, die ihn nichts angehen! Unverbesserlicher Dreckskerl von Aufrührer, du! Eine Zwangsjacke allein reicht nicht aus, dich zu zähmen.«
Er schiebt mich von sich weg, um mich zu betrachten, zieht mich wieder an seine Catcherbrust und sabbert mir das Gesicht voll. Ich fühle mich wie im Auge des Orkans.
Schnell hat ihn seine Warmherzigkeit erschöpft. Mit größter Behutsamkeit verstaut er mich in einem Sessel und geht einen Schritt zurück, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Als ob er es nicht fassen könnte! Er bleibt vor mir stehen, froh und gerührt, mich bei sich zu haben, vor seinen Augen, in Fleisch und Blut - er, der die miesesten Berichte über mich verfaßt hat, er, der meinen Direktor bedrängt hat, mir das
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