Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
tief in die Nacht. Sicherheitshalber.
Das Auto biegt in einen Obstgarten ein, eine kläffende Hundemeute hinterher. Ein Hirt steckt den Kopf aus seiner Hütte heraus. Er erkennt das Fahrzeug und macht sich daran, seine Tiere zu beruhigen.
»Hier wollen wir eine Schule bauen«, erklärt Mohand. »Unsere Kinder beklagen sich darüber, daß die alte zu eng ist. Es wird einen Spielplatz geben und, sobald wir das Wasserreservoire repariert haben, sogar Duschen. Dann müssen unsere Sportler nicht mehr nach Sidi Lakhdar ausweichen. Wir haben eine selbstgebastelte Bombe von dreiundvierzig Kilo unter der Chaussee entdeckt. Eine Stunde, ehe der Gemeindebus hier durchkam. Was für eine Katastrophe, wenn sie explodiert wäre. Im Bus waren sechzig Schüler. Auf Klassenfahrt.«
»Ihr leistet euch heutzutage Klassenfahrten?«
»Na und ob! Wir versuchen, unseren Kindern ein möglichst normales Leben zu bieten.« Seine Hand krampft sich ums Steuer. »Vorher waren das keine Kinder mehr. Ihr hättet sie sehen müssen, wie sie in den Ecken kauerten, zitternd und verstört, sie brüllten schon los, wenn man sie nur ansah. Wie verängstigte Tiere. Ein knatternder Auspuff löste die wildeste Panik aus. Unmöglich, sie in diesem Zustand zu lassen. Sie wären früher oder später verrückt geworden. Mein Junge fing zu weinen an, sobald ich nur im Nebenzimmer verschwand, um etwas zu holen. Er klammerte sich Tag und Nacht an meinen Schatten. Wir haben die Hölle hinter uns.«
Sein Ton wird aufgeräumter, als wir auf freies Feld gelangen: »Hier wollen wir ein Jugendhaus bauen und vielleicht sogar ein kleines Stadion mit einer offiziellen Tribüne und Stufenreihen. Wir haben eine Menge Projekte für unsere Gemeinde. Das ist unsere Art, die Herausforderung anzunehmen. Wir bauen auf, was der Fundamentalismus zerstört hat, und gewinnen täglich Terrain hinzu. Die beste Verteidigung ist noch immer der Angriff, hat der Capitaine gesagt.«
Der Wagen poltert krachend in eine Ackerfurche. Mohand reißt schnell das Lenkrad herum, um nicht im Graben zu landen.
»Du hast es selbst gesagt, Brahim: ,Wenn du ein Problem hast, ist es dein Problem.’ Wer soll uns helfen, wenn nicht wir uns selbst. Und bisher klappt es ganz gut.«
Da taucht Idirs Haus hinter den Bäumen auf, verhutzelt und pittoresk mit seinem Schieferdach und seinen Mauern aus Lehm und Stroh.
Ich rüttele Arezki wach. Der Maler schreckt hoch und hampelt auf der Suche nach dem Türgriff wild herum, ohne fündig zu werden. Mohand springt heraus, eilt auf die andere Seite, um ihm den Wagenschlag zu öffnen und stützt Arezki mit beiden Händen.
»Der ist fertig«, sage ich. »Wird nicht mehr lange dauern, und wir müssen ihm bei seinen rituellen Waschungen helfen.«
»Die Luft seiner geliebten Berge wird ihn schnell wieder auf die Beine bringen«, verheißt Mohand und schiebt seine Arme unter den ungelenken Körper des Greises. »Wir werden ihn hätscheln und päppeln.«
Ich mache das Licht im Schlafraum an. Mohand legt seine Last auf einer Matratze nieder, zieht Aretzki die Schuhe aus und deckt ihn zu.
»Ein hübsches Leichentuch!« unke ich.
»Ich an deiner Stelle würde es machen wie er. Ich würde mit Madame und den Kindern in den Schoß der Sippe zurückkehren und alles andere vergessen … Jetzt muß ich aber los. Im Kühlschrank sind Getränke, und da im Schlauch ist frisches Quellwasser.«
»Du hast nicht zufällig ein oder zwei Zigaretten übrig? Ich habe meine Vorräte beim Bürgermeister aufgebraucht.«
Er reicht mir eine Packung Rym. »Kannst du behalten.«
Plötzlich geht er nah ans Fenster heran und horcht. »Was ist denn los?«
Seine Hand bedeutet mir zu schweigen. Ich spitze die Ohren. Außer Grillenzirpen und dem Gesäusel des Windes höre ich nichts Besonderes. Mohand geht in den Hof hinaus, klettert auf einen Steinhaufen und horcht in die Ferne, die Hand wie einen Trichter ums Ohr gelegt.
Ganz fern, von den Windstößen verfälscht, ein Knattern .
»Schüsse?«
»Pst!«
Eine einzelne, kaum hörbare Detonation, dann eine Salve von Feuerstößen …
»Das ist sicher die Patrouille von Sidi Lakhdar, die einen Zusammenstoß mit einer Gruppe Terroristen hat.«
»Ich habe vorhin alles mit den Soldaten durchgecheckt. Die Dorfwachen waren um null Uhr zwanzig zurück in ihrem Quartier.«
Die Schüsse werden lauter, aber es ist unmöglich, sie in der Dunkelheit zu orten.
Da kommt ein Lastwagen ohne Licht vom Dorf herauf. Mohand läuft querfeldein, um ihn
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