Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
häßlich, Brahim. Du warst wunderbar.«
Sie fährt mir mit der Hand über meine stachligen Backen, legt den Kopf schräg in den Nacken und murmelt mütterlich, zärtlich, gerührt: »Du warst der Beste überhaupt.«
11
Mohand hat uns eindringlich davor gewarnt, uns über den hellgrauen Grat hinauszuwagen, der den Berg wie eine Messerklinge teilt. Hin und wieder tauchten Fundamentalisten im Dickicht auf, um das Dorf zu überwachen oder einen einsamen Hirten zu entführen. Sie zögerten auch nicht, hat er gesagt, auf alles zu schießen, was sich in Reichweite ihrer Gewehre befände, ehe sie wieder im Wald verschwänden. Sie benutzten diese List, um die Patrioten in verheerende Fallen zu locken. Jetzt, wo ihre Tricks nichts mehr fruchteten, begnügten sie sich damit, die Leute auszuspähen und Unvorsichtige, vor allem Kinder, die sich verlaufen haben, anzugreifen.
Seit dem Morgen werden Arezki und ich aus der Ferne von zwei Schutzengeln bewacht, während wir uns von unseren Erinnerungen treiben lassen. Ich habe sie gleich gesehen, aber ich spiele den Ahnungslosen, um sie zu beflügeln.
Wir erklimmen einen unförmigen kleinen Erdhügel, der unter unseren Schritten wegbröckelt. Die verdorrten Halme kratzen uns die Waden auf.
Arezki macht tollkühne Anstrengungen, um sich nicht abhängen zu lassen - umsonst. Er muß alle hundert Meter eine Pause machen, um wieder zu Kräften zu kommen. »Und da redest du von Erholung!« japst er.
»Ist anstrengend, tut aber gut.«
»Kannst du mir mal helfen?«
Ich strecke ihm meinen Stock hin und ziehe ihn daran zu mir hoch.
»Noch eine winzige Anstrengung. Der Ausblick ist die Mühe wert.«
Er läßt sich mir direkt vor die Füße fallen, mit aufgelöster Miene, ausgedörrter Kehle. »Reich mir mal deine Flasche. Ich brenne inwendig noch aus.«
Ich lasse mich neben ihn zu Boden gleiten.
Links von uns liegt der Obstgarten, in dem wir Lausebengel regelmäßig unsere Streifzüge unternahmen, so behende, daß keiner uns je zu fassen bekam. Heute ist er ein Schatten der Legenden, die wir um ihn rankten. Sein Schweigen ist das eines Friedhofs. Seine Spatzen sind längst auf und davon. Und selbst die Esel wagen sich heute nicht mehr hierher. Damals war der ganze Hügel zur Zeit der Mandelbaumblüte bis an die Pforten des Horizonts wie mit Schnee überzogen.
Auch Arezki betrachtet still, was vom alten Obstgarten übrig ist: verkrümmte, mickrige Bäume, die ihre Äste in verzweifeltem Gebet gen Himmel recken.
»Erinnerst du dich noch, wie du einmal wie ein Wilder da bergab gesaust bist, auf der Flucht vor dem Wächter?«
Arezki schaudert leise und kauert sich zusammen.
»Normalerweise hat er ein Auge zugedrückt. Er ließ mich immer in Ruhe.«
»Um das Lämmchen anzulocken, es in Vertrauen zu wiegen. Wenn du mich fragst, dann hat ihn der Wind, der die Gandoura über deinem drallen Popo hochgeweht hat, auf krumme Gedanken gebracht.«
Arezki schüttelt verlegen den Kopf. Er war schon immer sehr schamhaft. Meine Unverblümtheit geniert ihn.
»Weißt du, warum es zu stinken beginnt, sobald du nur den Mund aufmachst?«
»Weil mein Verstand im A… ist.«
»Du hast es erfaßt.«
Ich lache. »Ich habe keinen Hasen je so schnell fortsausen gesehen.«
»Naja!«
Arezki greift nach einem trockenen Zweig, zerbricht ihn zwischen den Fingern. Sein Mund läßt sich zur Andeutung eines rätselhaften Lächeln herbei. Mit meinem Stock wühle ich in einem Haufen herum und schrecke ein Heer von Kleinstgetier auf.
Am Fuß des Erdhügels hat der Fluß tiefe Furchen in den Boden gegraben. Die Kieselsteine erinnern an fossile Eingeweide. Einst kamen die Frauen in Scharen hierher, um ihre Wäsche zu waschen. Das Wasser sprudelte in Kaskaden vom Berg herunter und verlief sich fern in der Ebene. Das Schilf stand dichtgedrängt am Ufer, um den Oleander zu beeindrucken. Stellenweise war der Fluß richtig tief. Wir planschten nach Herzenslust drin herum, in einem Aquarell aus Zurufen und funkelnden Spritzern. Manchmal taten wir so, als würden wir ertrinken, um unsere jungen Hunde jaulen und aufgeregt auf der Böschung hin und her springen zu sehen, ehe sie es wagten, sich uns in tollkühnen Kopfsprüngen zuzugesellen. Ich selber schwamm eher selten. Ich zog es vor, mich im Schilf zu verstecken und stundenlang Lounja zuzusehen, wie sie bis zu den Knien im Wasser stand, während ihr Haar sich als goldener Strom über ihren Rücken ergoß und ihr nasses Kleid ihr auf der Haut klebte und die
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