Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
keimenden Brüste erkennen ließ, die schön wie zwei gekräuselte Sonnen waren.
»An dieser Stelle habe ich meine allererste Leinwand bemalt«, erinnert sich Arezki. »Mit bunten Kreideresten, die ich in Milch getaucht hatte. Meine Mutter hätte mich fast erwürgt, als sie sah, was ich mit dem einzigen Bettlaken, das sie besaß, angestellt habe.«
»Du warst schon damals ein Genie.«
Ein Traktor kommt die staubige Piste entlanggetuckert. Er rumpelt unbeholfen die Fahrrinnen entlang, verschwindet hinter einem Wäldchen und taucht am Fuß der Anhöhe wieder auf. Der Bürgermeister bedankt sich beim Fahrer und springt mit geschultertem Karabiner herab. Das Gefährt macht stotternd kehrt und entfernt sich mit groteskem Geholper.
»Ein schönes Paar seltener Vögel gebt ihr ab!« ruft der Bürgermeister uns zu.
Er kommt trotz seiner sechzig Jahre behende den Hang heruntergeeilt und läßt sich uns gegenüber ins Gras fallen.
Aldi Uld Ameur war Bauunternehmer, ehe die Kalifen der Apokalypse das Regiment an sich rissen. Eines Nachts haben vermummte Monster ohne Vorwarnung seinen Gerätepark in Brand gesetzt. Einige Wochen später waren sie wieder da und wollten Geld von ihm erpressen. Er hat sie gleich mit dem Gewehr begrüßt. Ein Salut nach den Regeln der Resistance. Am Tag darauf hat er den ersten Patriotentrupp der ganzen Region aufgestellt und sich bereiterklärt, die Leitung des Rathauses, das die Fundamentalisten in Schutt und Asche gelegt hatten, zu übernehmen.
»Störe ich euch?«
»Nicht im geringsten.«
Er zieht gewissenhaft sein Hemd über den nackten Nabel.
»Na?« ruft er aus, während sein Arm einen Schwenk über den Horizont beschreibt. »Ist es nicht schön, unser Land? Wie kann man nur in einer derart häßlichen Stadt leben, überall dieser furchtbare Asphalt und Beton, dazu Lärm und verschmutzte Luft bei Tag und Nacht?«
»Indem man die Augen schließt und sich die Nase zuhält.«
Er stützt sich auf einen Ellenbogen, legt den Karabiner neben seinem ausgestreckten Bein ab und läßt seinen Blick umherschweifen.
»Früher war es einfach fabelhaft! An den Feiertagen sind die Leute aus den Nachbardörfern hier zusammengekommen. Sie haben ihre Decken ausgebreitet und friedlich gepicknickt. Die Jungen haben Fußball gespielt. Es war herrlich!«
»Damals war man sich seines Glücks gar nicht richtig bewußt.«
»Da hast du recht, man nahm das einfach so hin. Es gibt Leute, die merken gar nicht, was für ein Glück sie haben.«
»Nietzsche sagt: Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her!«
»Und wer ist Nietsch?«
»Ein Bruder im Geiste.«
Aldi sucht sein Gedächtnis des langen und breiten nach dem Bruder ab, dann gibt er auf.
»Ach ja«, erinnert er sich plötzlich, »dein Direktor hat auf der Post eine Nachricht für dich hinterlassen. Du möchtest zurückkommen.«
»Ist es dringend?«
»Am Dienstag sollst du dich bei der Zentrale melden.«
»Dann bleiben ja noch vier Tage, uns ein Visum zu beschaffen«, sage ich zu Arezki.
»Du sprichst für dich. Mich wird diesmal der stärkste aller Kräne nicht von hier fortbewegen … Bab El-Oued, damit ist’s aus. Ich möchte inmitten der Meinen den Geist aufgeben.«
»Recht hast du!« stimmt Aldi energisch zu. »Die ganze Pracht des Ozeans läßt den Lachs nicht seinen guten alten Fluß vergessen.«
Akli hat uns zu einem Essen in seine Residenz geladen. Er hat alle Welt eingeladen. Um den Künstlern Ehre zu erweisen, hat er ein Porträt von Tahar Djaout [Algerischer Journalist und Schriftsteller, 1993 ermordet. In »Morituri« zitiert Commissaire Llob als Rechtfertigung für seine Unbeugsamkeit dem Terror gegenüber einen Ausspruch von Djaout: »Wenn du redest, stirbst du, wenn du schweigst, stirbst du. Also rede und stirb.«] zwischen zwei Damaszenerklingen an der Wand aufgehängt.
Ich mochte Tahar gern. Er war ein Junge mit vollendeten Manieren. Wenn die Höflichkeit eines Tages Gestalt annehmen sollte, dann die von Tahar. Der studierte Mathematiker, der aus Pflichtgefühl beim Journalismus gelandet ist, war ein talentierter Poet. In einem geschmiedeten Bronzerahmen schaut er mich aus unruhigen Augen an, als verstünde er nicht, was er in diesem Glaskasten verloren hat, er, der in die Welt geboren wurde, um sie zu erobern. Er sieht regelrecht entfremdet darin aus … Die schönste Chinavase kann der Blume keine Wiese ersetzen.
»Immer, wenn er in der Gegend war, ist er auf einen Sprung nach
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