Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Hypochonderhand klopft mir mutig aufs Knie. Es sollen freundschaftliche Klapse sein, bleiben aber die des Bosses, der sein räudiges Schaf zu zähmen sucht.
»Willkommen an Bord, Kommissar. Auf allen Decks herrscht Festtagsstimmung.«
»Ist mir nicht entgangen.« Ich fühle mich unwohl unter seinem brennenden Blick.
Er steht unvermittelt auf. »Tee oder Kaffee?«
»Beides.«
Er lacht schallend. »Du änderst dich wohl nie?«
»Dann hielte ich mich am Ende noch für jemand anderen.«
»Recht hast du … Und, was macht die Sippe?«
»Zahlt den Preis fürs Kosmopolitentum.«
Er wird nervös. Wenn der Direx etwas nicht kapiert, wird er nervös. Seine Antennen sind hypersensibel wie bei allen, die nur von ihren Beziehungen leben, und schalten, sobald etwas zu hoch für ihn ist, auf Alarm.
»Aber sie wird schon noch auf ihre Kosten kommen.«
»Ah ja …«
Er hat noch immer nicht begriffen. Was schon das einzige wäre, das ihm zur Ehre gereicht. Er läutet dem Amtsdiener, der auf der Stelle auftaucht. »Kaffee und Tee für den verlorenen Sohn.«
Der Amtsdiener buckelt besonders ehrerbietig, um mir zu beweisen, wie glücklich er ist, mich wiederzusehen, und rauscht davon.
»Der gute alte Azziz«, macht der Direx gerührt, »er schätzt dich ganz enorm.«
Ich schaue vielsagend auf die Uhr.
Der Direktor klatscht in die Hände, zufrieden mit sich und der Welt … »Ende gut, alles gut, nicht wahr, Brahim? Man darf die Hoffnung nie aufgeben.«
Ein großes Wort! Hatte ich je welche? Ich denke nicht. Geglaubt habe ich an die Hoffnung, hartnäckig und verbissen wie die alternde Konkubine, die an die Rückkehr des Geliebten glaubt, der eines Abends Zigaretten holen geht und nicht mehr zurückkommt. Aber ich bin keine Konkubine. Ich habe gelernt, den Hängebrücken, die die Philosophen über den Abgrund spannen, mit Mißtrauen zu begegnen. Es ist wie mit altbackenem Brot, das man unter die Hungernden verteilt, um sie glauben zu machen, man denke an sie. Wenn es der lautstark inszenierten Barmherzigkeit auch gelingt, falsche Samariter in den Rang des Herrgotts zu erheben, so holt der Hunger die Welt doch schnell wieder ein, und die Hoffnung wird ihr zum Verhängnis. Was ist Hoffnung anderes als ein Euphemismus für Resignation, ein schillernder Verzicht, eine langsame, sanfte Agonie, in der die letzte Aussicht auf echte Hilfe und Überwindung des eigenen Mittelmaßes dahingeht?
»Ich habe sie niemals aufgegeben, Monsieur. Wie kann man aufgeben, was man nie besaß?«
»Aber, aber, Brahim, jetzt verdirb uns nicht diesen herrlichen Tag.«
»Noch etwas, das mir nicht gehört.«
Meine Verbitterung wirft ihn in den Sessel zurück. Er ist aus dem Takt geraten, tastet nach einem Argument … Seine Hand ist verstört, wagt sich nicht mehr an mein Knie heran. Ich kann mir schon denken, was ich für ein Bild abgebe: Eingeschnappt und verbiestert sitze ich da, mit einem dicken Flunsch, und gebe mir keine Mühe, das zu verbergen.
»Verstehe«, sagt er müde. »Man hat sich dir gegenüber nicht korrekt benommen? Du fühlst dich hintergangen, verraten? Hör mal, Brahim, nicht jeder weiß zu unterscheiden zwischen Recht und Unrecht, richtig und falsch. Slimane Houbel hat seine Befugnisse überschritten. Er ist größenwahnsinnig. Er denkt, er könne sich alles erlauben, ist überzeugt, er könne seine Nase selbst in Dinge stecken, die ihn nichts angehen. Du sollst wissen, daß nicht wenige sein Verhalten mißbilligt haben. Seine Vorgesetzten haben ihn schroff in seine Schranken verwiesen. Sicher, er hat sich zu rechtfertigen versucht. Er ist nicht davor zurückgeschreckt zu fordern, daß man dich vor einen Disziplinarausschuß stellt, symbolisch, zur Abschreckung für alle, die in Versuchung geraten könnten, deinem Beispiel zu folgen. Ich habe da nicht mitgemacht. Und glaub mir, ich war nicht der einzige. Wir haben unsere Forderungen gestellt: Brahim Llob muß voll und ganz rehabilitiert werden, in seinen Rechten als Polizeibeamter wie in seinem Ruf als Schriftsteller. Und wir haben uns durchgesetzt. Du bekommst nicht nur deinen Posten zurück, außerdem bist du vorgeschlagen für die Polizeimedaille.« Ich rülpse ungehalten.
Diesmal knallt die Hand des Direx mit voller Wucht auf meinen Schenkel nieder: »Die Inquisition, die kann uns mal, Brahim! Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter. So viele Algerier lassen heute ihr Leben - und auf welche Weise lassen sie es! Doch wohl nicht dafür, daß solche Operettendespoten nach
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