Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
abzufangen.
Als er zurückkommt, ist er blaß. »Das ist Aldis Gruppe. Sie fahren zu Punkt 21.«
»Was ist los?«
»Angriff auf Imazighene!«
Eiswasser peitscht mir den Rücken entlang. In meinem Geist blitzt das gepeinigte Gesicht der alten Taos auf. Meine Knie werden weich, mein Herz hämmert wie wild gegen mein Brustbein.
»Diese Feiglinge!« schreie ich.
»Die Feigheit ist algerisch. Die Tapferkeit ist algerisch. Für beide zusammen hat dieses Land keinen Platz. Wir sind entschlossen, den Teufel zur Strecke zu bringen, wenn nötig in der Hölle.« Er springt in seinen Wagen. »Du bleibst hier, Brahim.«
»Du machst wohl Witze.«
Im Dorf ist alles in Alarmbereitschaft. Die Hauptstraße ist menschenleer. Auf den Dächern bewegen sich Silhouetten, sichern ihre Kampfpositionen, erkennbar an den Sandsäcken, die sich auf den Terrassen stapeln. Am Ortsausgang leuchten Scheinwerfer die umliegenden Felder aus. Aus den Häusern schwirren Befehle, die die Frauen ermahnen, ruhig Blut zu bewahren.
Mohand stellt sein Auto neben einem Bewässerungsbecken ab und stößt zu seinem Trupp, der sich im militärischen Kampfdress auf einer Lichtung versammelt hat.
Ein magerer Rotschopf umreißt die Lage: »Wir wissen nicht, wie viele es sind. Wir sind bereit. Bachir hat auf Punkt 18 Posten bezogen, Ramdane auf Punkt 24. In fünf Minuten wird Akli an Punkt 21 sein.«
»Bestens.«
Mohand inspiziert schnell seine Leute, kontrolliert die Waffen und die Erste-Hilfe-Ausrüstung, befiehlt einem Greis, seine Uhr abzulegen. Der gehorcht auf der Stelle.
»Diesmal entkommen sie uns nicht.«
Die Männer nicken steif, in martialischer Haltung. Tapfer, mythisch und schön wie nur der Krieg sie zu formen weiß, um sie für das Unrecht zu entschädigen, daß er ihnen in der nächsten Minute zufügen wird.
»Vorwärts!«
Die Gruppe setzt sich in Marsch wie ein einziger Mann.
Kein Zweifel: Wenn manche Nationen noch nicht zusammengebrochen sind, dann nicht, weil sie einen Kopf auf den Schultern, sondern weil sie solide Beine haben.
Als wir den Hügel hinabsteigen, ertönt eine grauenvolle Detonation.
Unten am Hang brennen die Häuser.
Der Anblick wirft mich um. Taos!
Ohne mir dessen bewußt zu sein, rase ich wie ein Irrer auf den Weiler zu. Eine zweite Explosion löst einen Strudel an Staub und Flammen aus, der den oberen Teil von Imazighene verschluckt. Aus einem Maschinengewehr dringt ein langgezogener Klagelaut, der die schüchternen Salven aus dem Dorf überdeckt. Abgehackte Schreie dringen an mein Ohr.
Ich renne, renne blindlings drauflos, taub gegenüber den Zurufen Mohands. Ich spüre, wie mein Gesicht von Zweigen zerkratzt wird. Taos! Ich glaube, ihre Stimme inmitten von Donner und Geschrei zu hören, ich sehe nichts als ihr Gesicht im flammenden Inferno.
Mein Fuß stößt jäh gegen ein Hindernis. Ich kreisele um mich selbst und stürze in einen Graben.
Mohand holt mich ein, außer sich: »Was hat dich denn gepackt? Man stürzt nicht so drauflos durch die Dunkelheit! Unsere eigenen Leute könnten dich aus Versehen erschießen. Wir haben unsere Erkennungszeichen und Anweisungen, an die wir uns strikt zu halten haben.«
Die Gruppe setzt sich wieder in Bewegung, in raschen Sprüngen auf den Ort des Zusammenstoßes zu.
Der Rotschopf fragt, ob wir eine Bahre brauchen. Ich beruhige ihn, und schon eilt er der Gruppe hinterher.
Mohand hilft mir auf die Beine. »Bist du sicher, daß es geht?«
»Beeilen wir uns, sonst bringen sie noch alle um.«
Jetzt kann man deutlich die kräftigen Feuerstöße erkennen, die aus dem Dickicht oberhalb des Weilers kommen. Leuchtkugeln jagen auf blitzenden Bahnen hintereinander her. Das Geschrei der Frauen und Kinder übertönt den Choral des Bleis.
»Das Militär ist im Anmarsch«, gibt der Funker bekannt. »Der Capitaine bittet um Geleit.«
»Aldi wird ihn führen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sonst treten die Khmej noch den Rückzug an und entwischen uns zwischen den Fingern.«
Wir laufen querfeldein, säbeln die Barrikaden aus Feigenkaktus um. In nächster Nähe, links von uns, gehen Schüsse los. Hinter mir bricht jemand zusammen. Der Rotschopf. Es hat ihm die Schulter weggerissen. Er rollt sich zur Seite, sucht nach Deckung. Er hat keinen Laut von sich gegeben.
Mohand kriecht zu ihm hin.
»Kümmert euch nicht um mich«, flüstert der Rotschopf. »Ich komme schon durch.«
Plötzlich, finsterster Vorzeit entsprungen, greift mich ein alptraumhaftes Wesen an, mit donnerndem
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