Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Eines Abends, als wir auf Patrouille waren, fing unser Panzer plötzlich Feuer und rutschte in den Straßengraben. Und die Nacht fiel in den Graben ein. Schwer zu erklären. Aber ich hab’s erlebt. Meine Kollegen sind auch gefallen. Einer nach dem anderen. Hatten keine Alternative. Entweder rauskommen und im Kugelhagel sterben, oder in den Flammen umkommen. Sie haben beides erlebt … Alternative - ich weiß jetzt, was das wirklich heißt. Alles andere als eine Vergnügungsfahrt …«
Die Krankenschwester kneift mich unauffällig, gibt mir zu verstehen, daß der Knabe nicht ganz dicht sei. Ich bin verunsichert. Ich wage weder meine Hand, die allmählich steif wird, zurückzuziehen, noch ein tröstendes Wort zu sagen. Der Polizist macht nicht den Eindruck, als erwarte er Mitgefühl. Wie Malika Sobhi. Er will nur, daß man zuhört, solange er redet.
»Jetzt achte ich mehr auf diese Dinge. Die Bedeutungsnuancen treten viel schärfer hervor. Die Worte haben einen tieferen Sinn …«
»Ist gut, Wahab«, schaltet die Schwester sich ein. »Wir reden später weiter. Ehrenwort.«
Der Verletzte nickt überzeugt. »Einverstanden. Wir reden später weiter. Ehrenwort?«
»Du weißt doch, daß ich Wort halte.«
»Stimmt, du hältst Wort.«
Zögernd, Millimeter um Millimeter, gibt er meine Hand frei.
»Wahab aus Bir Mourad Rais, Kommissar. An den wirst du dich noch erinnern …«
»Und ob!«
»Du wirst ihn in deinem nächsten Buch erwähnen, Kommissar. Wahab, ein Kerl wie Dynamit, so einer war das. Ein Haudegen.«
Er weicht zur Seite, um uns vorbeizulassen. Ich höre, wie er in meinem Rücken lautstark mit sich zu schimpfen beginnt: »Hör auf mit dem Theater, Wahab! Am Ende wirst du noch richtig verrückt. Alles hat seine Grenzen, Wahab. Vorsicht … Hör auf, die Leute in Verlegenheit zu bringen. Mein Rat …«
Die Schwester erklärt: »Er ist nicht immer in diesem Zustand. Nur ab und zu. Er hat einen Schuldkomplex. Er ist der einzige Überlebende der ganzen Patrouillenmannschaft.«
Wir gelangen in den Innenhof des Krankenhauses. Lino sitzt unter einer Platane im Schatten und blättert in einer Zeitschrift. Den Fuß hat er in Gips.
»Ein prachtvoller Kerl!« vertraut die Schwester mir an. »Und so witzig. Er hat eine eiserne Moral.«
Ich bedanke mich bei ihr. Sie zerquetscht meine Finger in ihrer Faust und kehrt zu ihren Patienten zurück.
Lino schlägt seine Lektüre zu, schiebt die Brille hoch und mustert ausgiebig meinen Krückstock. »Kriegsverletzung oder Hundescheiße?«
»Krieg …«
»Na, dann sind wir ja quitt. Seit wann bist du zurück?«
»Seit gestern abend.«
Er verzieht dramatisch das Gesicht, während er sein Bein bewegt. Er ist gut drauf. Man könnte meinen, er sei reifer geworden, oder vielleicht ist es auch nur der Ansatz eines Schnurrbartes, der ihn älter wirken läßt. Ich fahre ihm durchs Haar. Er weicht meiner verniedlichenden Geste aus. Ich weiß, wie sehr er es haßt, daß man seine Frisur berührt, die direkt aus der Haarpflegemittelwerbung zu stammen scheint, aber ich hatte schon immer eine diebische Freude daran, ihn auf die Palme zu bringen.
»Na, was macht die Verstauchung?«
»Das ist keine Verstauchung!«
»Ist es schlimm?«
»Der Doktor denkt, da man einem Affen beibringen kann, Fahrrad zu fahren, dürfte sein Nachkomme mit Leichtigkeit lernen, wie man einen Rollstuhl bedient.« Doch gleich beruhigt er mich: »Alles halb so wild. In ein paar Wochen werde ich problemlos einem parlamentarischen Dickhäuter in den Arsch treten können.«
»Wenn du meinst, daß du ihn dadurch von seinem Sitz wegkriegst … Dafür braucht’s einiges mehr. - Ich habe dir Schweizer Schokolade mitgebracht.«
»Oh, vielen Dank.«
Er legt die Tafel auf den Tisch. Seine Nase wirkt irgendwie schlaff. Er macht sich Sorgen. Ich setze mich vor ihn hin und studiere die Mädchennamen, die zwischen Zeichnungen und esoterischen Formeln in den Gips gekritzelt sind.
»Deine Jagdtrophäen?«
»Damit man mich nicht auch noch für lendenlahm hält, wenn ich schon fußlahm bin.«
Er macht sich mehr als nur Sorgen, der gute Lino, er ist kreuzunglücklich. Ich kann mir denken, daß er dabei ist, Zeit zu schinden, um das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Seine Bemühungen sind absurd, das weiß er. Das ist ihm klar geworden, sobald er mich gesehen hat. Er weigert sich nur, den Dingen ins Gesicht zu sehen. Sein Finger fährt nervös über den Schnurrbart, bleibt an einem Pickel im Mundwinkel hängen. Neben
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