Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Ghouls
vergötterter Neffe, ein kultivierter Paranoiker, der an der Insulinnadel hängt und unentwegt eine
Krawatte lockert, die nur in seiner Phantasie exis-
tiert, seit er als junger Spund wegen eines alters-
schwachen Lüsters einen Selbstmord verpatzt hat.
Auch er ist gekommen, um mit eigenen Augen die
offizielle Amtsenthebung des in der Stadt am meis-
ten verschrienen Polypen zu sehen, und müßte er
darüber an Unterzuckerung krepieren. Mit jedem
Schritt, den ich näherkomme, beginnen seine Na-
senflügel stärker zu beben. Seine Lippen verflu-
chen mich. Der Blick aus seinen Glubschaugen
verbrennt mich fast. In diesem ganz besonderen
Moment gäbe er alles, könnte er der entfesselte
Blitz des Himmels sein, die vernichtende Wut des
Mutanten, der sich für befähigt hielt, die Götter
mal eben in die Knie zu zwingen, bis ein ordinärer
Süßwasserpolyp daherkam und seinen Olymp wie
ein Kartenhaus auffliegen ließ.
„Du bist museumsreif, alte Haut!“ keucht er mir
ins Gesicht.
„Ich fühle mich sehr wohl, da, wo ich bin“, kon-
tere ich, „in deinen Alpträumen nämlich. Nacht für
Nacht werde ich dich im Schlaf heimsuchen. Es
wird so gräßlich für dich sein, daß du kein Auge
mehr zubekommst.“
„Das werden wir ja sehen, du Ex.“
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„Vor mir aus kann es gleich heute nacht losge-
hen.“
Unsere Wimpernspitzen stoßen klirrend gegen-
einander, wir stehen Nase an Nase, Atem in Atem.
Das Grinsen erstarrt zur Grimasse, und seine Säu-
fervisage beginnt unkontrolliert zu zucken.
„Laß gut sein, mit toten Männern spricht man
nicht“, besänftigt ihn Haj Garne. „Exakt!“ pflichtet Sofiane bei, kurz vor dem endgültigen Zusammen-bruch. „Was macht man mit Aas? Man pißt drauf,
dann bleibt’s schön frisch.“
Mit einem ekligen Nachgeschmack auf der Zun-
ge setze ich meinen Weg fort.
Unter den Anwesenden entdecke ich Gesichter
von Verbündeten. Sie sind gerührt. Und ich bin
nicht mehr allein. Ewegh steht ganz außen in der
ersten Reihe, stocksteif, mit vorgerecktem Kinn. Er blickt starr auf die Tribüne, hochmütig und
schweigsam wie ein Waran, der reglos oben auf
seiner Sanddüne lauert. Rechts von ihm stellt Lino
den Rest seiner Würde zur Schau. In seinem gra-
natroten Yves-Saint-Laurent-Imitat sticht er aus
der Menge hervor. Von seinem Gips befreit sieht er
aus, als wolle er der ganzen Welt in den Hintern
treten. Er äugt verstohlen in meine Richtung und
wendet den Kopf schnell wieder ab, doch nicht
schnell genug, um das unstete Glänzen in seinen
Pupillen verbergen zu können. Baya, meine gute
Sekretärin, ist bemüht, sich mit ihrer roten Nasen-
spitze hinterm Taschentuch zu tarnen. Ich zwinkere
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ihr aufmunternd zu, doch umsonst. Ihre Schultern
werden von einem Krampf geschüttelt, und schon
fängt sie wieder zu schluchzen an.
Vorne angelangt, nimmt mich Omar Rih in Emp-
fang. Er ist fürs Protokoll zuständig. Ein charman-
ter Kerl von übertriebener Zuvorkommenheit. Bit-
tet man ihn um ein Glas Wasser, bringt er die gan-
ze Quelle angeschleppt. Rät man ihm, kaltblütig zu
bleiben, nimmt er ohne zu klagen eine Unterküh-
lung in Kauf. Er drückt mir warmherzig die Hand
und bittet mich aufs Podium.
Mourad Smaïl verzieht keine Miene, als er mei-
ner ansichtig wird. Ich schätze, Rang und Vermö-
gen entheben ihn der Pflicht, sich fürs Fußvolk zu
interessieren. Er ist der gefürchtete Oberboß der
ganzen Polizei. Allein sein Name ist ein Trauma.
Wo immer man ihn ankündigt, fehlt es bald an
Tranquilizern. Er wird gehaßt wie die Pest. Ständig schikaniert er seine Höflinge, ist mit nichts zufrieden und versucht unter dem Vorwand, daß klare
Vorstellungen nicht zwangsläufig transparent sein
müssen, selbst auf den Glatzen Haare zu spalten.
Er ist größenwahnsinnig und von grenzenloser
Gewissenlosigkeit. Aus dem Nichts, konkret dem
muffigen Büro eines schon halb dienstuntauglich
erklärten Aktensortierers hervorgekrochen, fand er
sich dank der Gunst man weiß nicht welch bösen
Geistes plötzlich als Oberhaupt einer sagenhaften
Armada wieder und treibt sie mit dem Stock vor
sich her, als wär’s der elterliche Viehbestand.
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Mein ehrwürdiger Vater, seines Zeichens Kadi
und lebenskluger Philosoph, pflegte zu sagen: ‚Es
gibt keinen schlimmeren Tyrannen als einen
Spucknapfausleerer, der zum Sultan avanciert ist.’
Hätte ich ihm nur länger zugehört.
Mourad Smaïl thront nicht allein auf der
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