Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Ihre Unterstützung danken
können. Ich weiß, Sie haben Himmel und Hölle in
Bewegung gesetzt, um mich zurückzubekommen,
nur: Ein echter Berber ist wie ein Karabiner. Wenn
er einmal losschießt, gibt’s kein Zurück.“
„Das wirst du uns doch nicht antun …“
„Hören Sie, lassen Sie uns eine Sekunde lang
vernünftig miteinander reden. Ich schleppe mich
auf meine sechzig Lenze zu, bin schon fast ein alter Knabe, immer schwieriger zu bändigen. Wird langsam Zeit für mich, das Feld zu räumen. Ich bin es
leid, hinter kleinen Ganoven herzurennen, während
die großen Gauner über alle Zweifel erhaben sind.
Es macht mir keinen Spaß mehr. Ich strecke die
Waffen, ich will nach Hause. Ich habe Kinder, die
sollte ich mal wieder aus der Nähe sehen, und auch
etwas öfter als sonst, und eine Frau, die mehr ist als nur ein Arbeitstier, auch wenn ich das fast vergessen habe, und vielleicht schaffe ich es und sie verzeihen mir, daß ich sie für trügerische Gedanken-
spiele verschachert habe. Ich will mich ausruhen,
Monsieur Menouar, mich mit den einfachen Din-
gen des Lebens aussöhnen, mich tagelang hinter
einem Buch verkriechen oder auch einmal verrei-
sen, die Welt kennenlernen. Es tut mir aufrichtig
leid. Nicht daß ich gar keine Lust mehr hätte, aber 165
ich bin nicht mehr mit dem Herzen dabei. Bei uns
zu Hause, in den Bergen der Naït-Wali, besteigt
kein Reiter mehr ein Roß, das ihn einmal abgewor-
fen hat.“
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Die Krankenschwester ist sehr nett. Nicht eben von
der Natur verwöhnt, dafür ein Herz wie ein Schif-
ferklavier. Sieht aus wie ein altertümlicher Klei-
derschrank, der bis vor kurzem noch beim Trödler
stand, leicht angestaubt, mit Fettwülsten zwischen
Schultern und Ellenbogen und einem massigen,
gutmütigen Gesicht. Sie walzt mit der Eleganz ei-
nes Eisbrechers durch die Menge und wird im
Vorbeirauschen von neckischen Zurufen begrüßt.
„Die Leute hier scheinen Sie ja mächtig zu mö-
gen!“ bemerke ich.
„Umgekehrt auch.“
„Sie sind bestimmt völlig überlaufen.“
„In den anderen Krankenhäusern ist noch weni-
ger Platz. Wir rücken halt zusammen. Nicht son-
derlich bequem, aber so hält man sich aufrecht.“
Im Gang wimmelt es vor Leuten, die meisten Op-
fer terroristischer Anschläge. In einem überfüllten Raum läßt sich ein Junge von den Zauberkunst-stückchen eines alten Arztes unterhalten. Er hat
einen grotesken Verband um den Kopf und ein
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Bein amputiert. Sein Gesichtchen funkelt wie ein
Leuchtreif inmitten der allgemeinen Konfusion.
„Sie waren zu elft in der Familie“, berichtet die
Krankenschwester. „Er ist als einziger übriggeblie-
ben, und auch das nur zum Teil. Innerhalb von
wenigen Minuten hat er Vater und Mutter, fünf
Schwestern und drei Brüder verloren. Alle bestia-
lisch ermordet. Er selbst hat einen Schlag mit der
Machete auf den Kopf gekriegt, einen anderen ü-
bers Knie und wurde als tot liegengelassen. Er hat
die Nacht im Blut seiner Familie verbracht. Er hat
noch kein einziges Wort gesagt. Wir versuchen,
ihn abzulenken. Er macht zwar mit, aber alles nur
an der Oberfläche. In Wirklichkeit hat sich sein
Geist in die tiefsten Schichten seines Ich zurückgezogen und weigert sich hochzukommen.“
„Hat er keine Verwandten mehr?“
„Wir sind noch am Suchen …“
Ein Verletzter hüpft auf seiner Prothese umher
und macht mir begeistert Zeichen. „He! Kommis-
sar!“
Der Mann ist groß und kräftig gebaut, mit flecki-
gem Gesicht. Er muß so um die Dreißig sein, sieht
aber zehn Jahre älter aus. Sein rechtes Auge wird
ganz von seiner geschwollenen Wange verdeckt.
Ich strenge mich an, ihn in meinem Gedächtnis zu
orten – umsonst. Er kämpft sich recht und schlecht
durchs Chaos und ist sichtlich erfreut, mich hier
anzutreffen.
„Erkennst du mich nicht wieder? Wahab aus Bir
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Mourad Raïs. Ich war im Team von Leutnant Cha-
ter.“
„Ach ja!“ entgegne ich, um ihn nicht zu kränken.
Seine feuchte Hand vergißt sich in meiner. Sein
Lächeln wird schmal.
„Molotow-Cocktail“, erklärt er verbittert. „Früher
habe ich mir nichts dabei gedacht, wenn jemand
vom ‚Einfallen der Nacht’ sprach. War ganz nor-
mal für mich. Jetzt weiß ich, was es wirklich heißt.
Die Nächte fallen ein, Kommissar, so wie Men-
schen fallen. Und das macht so einen Krach da
drin“, fügt er hinzu, wobei er sich mit dem Finger
an die Schläfe tippt. „Ich schwör’s Ihnen, man
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