Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Parkett kostbar, die Wohnung ein leeres Theater ohne Seele.
Hier, in diesem goldenen Käfig, haben sie dich also gehalten?
Sie stand nun direkt vor der Frau, die mit tiefen Schluchzern weinte. Dazwischen flüsterte sie immer wieder: »Bitte nicht. Bitte nicht.«
Zadira öffnete langsam die Arme. Sagte leise: »Natürlich nicht.« Natalie ließ sich in sie hineinfallen. Machte sich klein. Zadira hielt sie fest.
Irgendwann hörte das Schluchzen auf.
»Kaffee?«, fragte Zadira leise, ganz sanft.
»Schnaps«, flüsterte Chabrand dankbar.
»Ziehen Sie Ihre Schuhe aus, Madame«, schlug Zadira vor. Die Frau brauchte festen Boden unter den Füßen.
Natalie folgte Zadira auf nackten, wohlmanikürten Füßen in die große Küche. Als Zadira den Designer-Kühlschrank öffnete, sah sie die identische Batterie an Weinen, die sie auch im Haus Nummer 9 gefunden hatte. Und natürlich Veuve Clicquot, 1985er.
Zadira goss Chabrands Espresso mit teurem Cognac Forgeron auf. Natalie suchte aus ihrer Handtasche die Mentholzigaretten hervor, zündete sich mit nervösen Fingern eine an und setzte sich an die Ecke des Edelplastiktisches.
»So«, sagte sie mit ihrer kultivierten, jetzt rauh-bebenden Stimme, als Zadira sich ihr gegenüber niederließ. »Sie wollen mit mir also über die Erben des Marquis reden.«
Zadira rauchte. Das erste Mal seit Wochen.
Ausgerechnet Mentholzigaretten.
Aber nicht wegen Javier. Nicht wegen Minotte. Sondern weil sie es kaum aushielt, als Natalie ihr nach und nach die Tür zu ihrem Gefängnis und ihren Seelenqualen öffnete.
»Die Erben des Marquis de Sade. So nennen sie sich seit Beginn ihrer Freundschaft. Philippe, Alexis, Victorine und … César.« Bei der Nennung des letzten Namens war das Frösteln in Natalies Stimme nicht zu überhören. Sie zupfte an der schweren, engen und vermutlich sehr teuren Y-Kette mit den Saphiren. Ihr Blick irrte ziellos umher. »Nicht im Genuss besteht das Glück, sondern im Zerbrechen der Schranken, die man gegen das Verlangen errichtet hat.« Sie schüttelte resigniert den schönen Kopf und goss Cognac in die bereits leere Kaffeetasse. »Das ist ihr Wahlspruch. Natürlich von de Sade. Es kommt ihnen immer darauf an, das zu tun, was wider die Regeln der Mehrheit ist. Glaube, Liebe, Hoffnung, all das finden sie albern und begrenzend für ihren ach so freien Geist.«
Natalie kramte eine Pillenschachtel aus ihrer Prada hervor und schluckte eine Tablette mit dem Cognac.
Zadira las die Aufschrift.
»Das sind Zolofts«, sagte sie erschüttert.
»Gegen Depressionen«, erläuterte Natalie ohne Verlegenheit.
»Nehmen Sie etwa jeden Tag eine?«, erkundigte sich Zadira besorgt.
»Sie haben ja keine Ahnung«, antwortete Natalie, ohne zu lächeln. »Eine reicht nicht.« Sie atmete tief ein. »Was genau haben die Erben getan? Sagen Sie es mir. Dann werde ich Ihnen alles erzählen. Zumindest das meiste. Oder das, was ich sagen kann, ohne danach aus dem Fenster zu springen.«
Ihr Blick ging zu dem großen Sprossenfenster.
»Sie hat mir nicht ohne Grund diese Wohnung gegeben und keine im sechsten Stock. Hier breche ich mir nur Beine und Arme, aber leider nicht das Genick.«
Während Natalie unablässig rauchte und unablässig trank, erzählte Zadira ihr von Julie, dem Haus und den Zimmern.
Da kamen Chabrand erneut Tränen. Sie fuhr mit beiden Zeigefingern unter ihren Augen entlang.
»Wer hat sie denn hier am häufigsten besucht, Madame?«, fragte Zadira jetzt.
»Philippe.« Nur ein Hauchen. »Er … er ist der Fesselungskünstler, wissen Sie.« Ihr Blick schweifte zum Salon hinüber. Es gab dort zahlreiche Möglichkeiten, eine Frau gefesselt in der Ecke liegen zu lassen und derweil teuren Veuve zu trinken, die Füße bequem abgelegt auf ihrem verschnürten Leib.
»Alexis schlägt am liebsten zu, mit Worten und Händen. Seine größte Freude ist es, wenn meine Wimperntusche unter Tränen zerläuft. Philippe bevorzugt außerdem noch den sekundären Lustgewinn: Er liebt es, mich an Männer auszuleihen und dann Regie zu führen. Wie beim Puppentheater. Er selbst bekommt keine Erektionen mehr.« Natalie hielt inne. »Er war erst letzte Woche hier. Er hat mir … er hat mir vorgeschlagen, mich operieren zu lassen. Er fand, ich sehe nicht mehr schön aus.« Sie zog ihren Rock hoch. »Sehen Sie. Bindegewebsschwäche.«
Zadira sah nicht nur die. Sondern Striemen. Narben.
Sie zog sich eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Natalie ließ den Rock wieder fallen.
»Victorine
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