Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Weißt du, die ersten Jahre nach ihrem Tod ist Élaine oft zu mir gekommen. Des Nachts, in meinen Träumen. Träumst du auch?«
Sie nickte.
»Was träumst du?«
Sie beherrschte sich, um ihn nicht anzuschreien. Ihre Ungeduld verdreifachte sich bei Mistral, das war schon immer so gewesen. Andere hatten ihre Tage, Zadira den Mistral.
»Ich träume, dass ich ertrinke«, sagte sie dann aber doch ehrlich. »Oder dass ich im Sumpf oder Treibsand versinke.«
Rimaud hob seine Hand und berührte Zadira an der Wange.
»Tut mir leid. Das sind keine Träume. Das ist dein Leben.«
Sie griff nach dem Glas und trank es bis zur Neige aus.
Rimaud trank nur einen Schluck. »Ich träumte von Élaine, und sie fragte mich immerzu: ›Guillaume, du würdest mir doch sagen, wenn ich sterben muss, oder? Du würdest mir doch verraten, wenn ich schon tot bin?‹ Es war eine schlimme Zeit. Sie tat mir so leid, sie war zu jung, um zu sterben.«
Guillaume Rimaud zog Blättchen und ein Alupapierpäckchen hervor und begann, sich einen Joint zu drehen. Er hob den Stick zwischendrin fragend hoch.
»Ist das ein Problem für dich, ertrinkende Polizistin?«
Zadira schüttelte den Kopf. Er hielt zwar gerade ein Jahr potenziellen Knast in den Händen. Aber sollte er doch haschen, wenn er dadurch besser schlief und weniger Alpträume hatte.
Der Maler zündete den Stick an. Es roch, als hätte er ein paar Pinselhaare oder Katzenminze mit eingerollt.
»Élaine war erst siebzehn. Eine schlafende Schönheit. Noch nicht entzündet, wenn du verstehst, was ich meine?«
Guillaume sah in den Himmel und ließ den Rauch aus seinem Mund wallen. Der Mistral riss den Qualm von seinen Lippen.
»Sie hatte noch nicht herausgefunden, wie schön echte Lust macht und was sie mit dieser Ausstrahlung, diesem unglaublichen Licht, alles anfangen kann, verstehst du?«
»Was passierte, als Élaine auf die vier Pariser traf?«
Rimaud rauchte, dachte nach und meinte schließlich:
»Da wurde Élaine entzündet. Aber mit keinem guten Licht. Weißt du, ich hab sie gemalt. Ihr Verlobter war ein paar Monate nach ihrem Tod bei mir und hat alle Bilder aufgekauft. Also, alle, die ich ihm freiwillig gegeben hab. Ein paar habe ich noch.«
»Wie hieß denn Élaines Verlobter?«
»Hat mich nicht interessiert. Ich mein, er und ich, dasselbe Mädchen, da will man einander am besten schnell wieder vergessen. Wir haben uns einmal umarmt, und ich hab geweint, glaube ich, er nicht, er war wie versteinert und voller Hass. Er war besessen, würde ich heute sagen. Aber der Name, keine Ahnung, war einer aus der Gegend, sein Vater irgendein Kunsttischler oder Restaurator, ja, der wohnt da noch, in Lacoste.«
»Tatsächlich?!«
»Oder, nee, warte, der ist ja auch schon tot. Die Zeit vergeht schneller, wenn man älter wird.«
Und wenn man kiloweise Dope raucht.
»Aber auf den Rechnungen der Bilder, steht da nicht der Name von Élaines Verlobtem?«
»Rechnungen? Versteh mich nicht falsch, schöne Polizistin, aber ein wahrer Künstler schreibt keine Rechnungen.«
»Oh. Klar.«
Da sagte Rimaud auf einmal:
»Ich werde euch jetzt einander vorstellen. Zwei schöne Frauen. Die eine tot, die andere am Ertrinken.«
Er drückte den Joint in einem Blumentopf aus und ging Zadira dann in einen Anbau aus Sandstein voraus.
»Hier wohnt meine Vergangenheit«, meinte Guillaume noch düster, bevor er die Tür aufstieß.
Zadira trat ein und sah sich Dutzenden von Leinwänden gegenüber. Weibliche Ganzkörperportraits, Frauengesichter, Frauenakte, Frauen überall. An allen Wänden und auf den Tischen standen, hingen oder lagen Bilder.
Und in der Mitte wie eine Königin: Julie.
Sie hatte zehn Minuten gebraucht von Goult bis nach Lacoste, dem Ort, der von der alten Burg der de Sades überragt wurde.
Wieder und wieder ging Zadira die Handyfotos durch, während die Kaffeemaschine im Café de France in dem Bergdorf duftenden Espresso in die Tasse drückte. Draußen lag die Frühabendluft immer noch drückend heiß über dem Land. Die Touristen drängten sich in den Schatten der Markise und lutschten Eiswürfel. Zadira hingegen zog es vor, in der kühl klimatisierten Bar am Tresen zu bleiben.
Sie vergrößerte die Bilder. Julie Roscoff und Élaine de Noat hätten Schwestern sein können. Beide zierlich, mit der Figur einer Sanduhr, einem wunderschönen Busen, Porzellanteint, braunen Augen und rotem Haar.
Zadira rief sich Guillaumes Worte wieder in Erinnerung.
ȃlaine hatte Angst vor dem
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