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Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Bagnol
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durchgeplanten Leben, das vor ihr lag. Davor, dass sie verkümmern würde.«
    Guillaume hatte sich einen neuen Joint gedreht. »Dann kamen diese Sexpsychos. Diese Pariser Ärsche verführten sie, und anfangs gefiel ihr das auch, das habe ich an ihrem Gesicht gesehen. Doch später muss etwas passiert sein.«
    Auf die Frage, ob er an Élaine de Noats Selbstmord glaube, schaute Rimaud sie erschrocken an. »Aber natürlich! Warum hätte jemand Élaine, diese Göttin, denn umbringen sollen?«
    »Aus Eifersucht?«, schlug Zadira vor.
    »Du meinst, eine von den Frauen hat sie …?«
    »Oder ihr Verlobter?«
    »Nein, jemanden wie Élaine bringt ein Mann nicht um«, hatte Rimaud beharrt.
    »Hätten Monsieur oder Madame de Noat wohl Zeit für ein Gespräch?«, fragte Zadira nun die junge Frau hinter dem Tresen des Café de France.
    »Worum geht’s denn?«
    »Um ihre Tochter Élaine.«
    Die Kellnerin wich zurück.
    »Das ist nicht so gut«, sagte sie.
    Zadira ignorierte den Einwand.
    »Wo finde ich sie?«, fragte sie und holte ihren Ausweis hervor. Als das Mädchen die Insignien der Police Nationale sah, wirkte es noch unglücklicher.
    »Das ist keine gute Idee, wirklich nicht. Madame de Noat redet nicht mit Polizisten. Mein Vater hat mir erzählt, die Polizisten hätten Madame de Noat damals gesagt, die Familie sei schuld am Selbstmord ihrer Tochter, weil die Familie immer schuld sei. Sie haben Monsieur sogar gefragt, ob, also, ob er Élaine – Sie wissen schon. Und ob sie sich deshalb umgebracht hätte.«
    Sie musste nicht weiterreden. Zadira erinnerte sich, dass die Polizei vor zwanzig Jahren streng angewiesen worden war, in solchen Fällen nach Missbrauch innerhalb der Familien zu suchen.
    Aber es kann auch sein, dass man sie instruiert hat, den Vater in Verlegenheit zu bringen.
    »Ich bitte Sie von Herzen«, insistierte Zadira. »Élaines Mutter kann mir dabei helfen, einem anderen toten Mädchen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die junge Frau hieß Julie, sie war genauso jung wie Sie.«
    Die Pupillen der jungen Frau hatten sich geweitet. »Gehen Sie zur Burg von de Sade«, wisperte sie schnell. »Madame ist jeden Tag da. Seit zwanzig Jahren.«
    Und so stieg Zadira die steilen, engen Gassen von Lacoste empor, deren Kopfsteinpflaster glatt wie Eis war. De Sades Burg ragte weiß wie ein von der Sonne ausgebleichter Knochen über dem Ort empor. Das Dach fehlte, die Mauern des obersten Stockwerks waren halb eingestürzt. Die Fenster leere Augenhöhlen. De Sades Knochenburg verschlang den Himmel und fraß das Blau.
    Eine arrogante, haarsprayfrisierte Blondine bewachte den Zugang zum renovierten Burgfried und verteidigte ihn gegen zehn Euro Eintritt. Zadira fragte nach Madame de Noat, mit einem Wedeln wurde ihr die ungefähre Richtung angezeigt.
    Vor einer modernen Skulptur des Marquis de Sade – sein Kopf in einem eisernen Käfig, die Arme verschränkt – hielt Zadira inne.
    »Die Wahrheit verletzt tiefer als jede Beleidigung.«
    Es war ein Zitat de Sades aus einer seiner rechtsphilosophischen Betrachtungen. Sie fragte sich, welche Wahrheit sie am Ende finden würde.
    Zadira suchte sich einen Weg entlang der weißen Burg und kämpfte dabei gegen die Böen des Mistrals an, die dunkle, grasige Gerüche aus den Bergen vor sich hertrieben.
    Am Fuße der Ruine saß eine gebeugte Frau ganz in Schwarz und schaute mit gefalteten Händen bewegungslos ins Tal.
    Zadira näherte sich ihr. Als ihr Schatten auf die Hände der Frau fiel, sah diese nicht einmal auf.
    Zadira schwieg. Sie wusste, dass jene, die der Tod zurückließ in der einsamen Realität, sich gegen Worte immunisierten. Deshalb hielt sie Madame de Noat, anstatt sie anzusprechen, nur das Handy vor die Augen und wechselte, indem sie mit dem Daumen über das Display strich, ständig zwischen den Fotos von Élaine und Julie hin und her.
    Hin. Und her.
    Eine Minute. Zwei Minuten.
    Ihr Arm schmerzte schon, aber sie senkte ihn nicht.
    Ihr Daumen verkrampfte sich, aber sie hörte nicht auf.
    Als schließlich Tränen in den Augen von Élaines Mutter standen, sagte Zadira sanft und sehr deutlich:
    »Sie sind nicht schuld, Madame.«
    Die Frau schaute zu ihr auf.
    »Mein Mädchen«, flüsterte Madame de Noat. »Mein kleines Mädchen.«
    Sie nahm Zadira das Handy aus der Hand, ungeschickt, als ob sie solch ein neuartiges Gerät noch nicht oft angefasst hätte, und streichelte dann über Élaines gemaltes Gesicht.
    Lange, und ihre Tränen tropften dabei auf das Display. Zadira

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