Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Rezeption.
» Salut, Julie!« rief er, als er sie erblickte. »Wo willst du denn hin? Hast du ein Rendezvous?«
»Es ist ein schöner Abend, und ich wollte spazieren gehen«, log Julie Paul mit offenem Lächeln an. »Und wer weiß, wen ich dabei treffe?«
»Beneidenswert, meine Liebe. Ich wünsche dir viel Vergnügen und ein schlechtes Gewissen«, sagte Paul und seufzte theatralisch.
Julie wanderte durch den mildwarmen Juliabend. Sie schaute in die geöffneten Türen und Fenster der Häuser, grüßte hier und da ein bekanntes Gesicht und fühlte sich mit dem Städtchen so versöhnt wie nie zuvor.
Als sie an der Kapelle der Büßer entlangging, sprang ihr eine schöne, ingwerfarbene Katze entgegen.
» Salut, Manon!«, rief Julie erfreut.
Sie ging leicht in die Knie, um ihre Freundin zu begrüßen, und kraulte die Katze unterm Kinn. Manon antwortete mit einem Schnurren. Als Julie sich erhob und weiter in Richtung Rue de l’Ancien Hôpital und auf das Haus Nummer 9 zuschritt, lief ihr die Katze zwischen die Beine.
»Na, was ist denn?«, fragte das Mädchen, als Manon sich so an ihr rieb, dass Julie fast stolperte.
»Ich hab dich auch lieb, Süße. Aber ich will keine Katzenhaare an den teuren Nylons.«
Sanft hob Julie Manon hoch und setzte sie auf die gemauerte Umfriedung eines verschlossenen Brunnens. Die Katze stieß ihr Köpfchen an Julies Stirn und maunzte hell.
»Du wirst mir fehlen, wenn ich nach Paris gehe«, flüsterte Julie ihr zu. »Und nur du.« Sie ging weiter. Die Nummer 9 war ein großes, dunkles Haus mit roten, geschlossenen Fensterläden.
Dass die Katze vom Brunnenrand sprang und ihr nachlief, bemerkte sie nicht.
Jetzt gilt es, dachte Julie. Alles in ihr drängte sie, sich auf das Abenteuer einzulassen, das ihr Victorine Hersant so wundervoll beschrieben hatte. Doch als das Mädchen den Messingklingelknopf drücken wollte, fauchte Manon sie plötzlich an und riss sie damit aus ihren Träumen.
»Was ist denn?«, fragte Julie ungeduldig. »Bist du eifersüchtig? Weil ich vielleicht bald einen Liebhaber habe?«
Sie hielt den Atem an. Und klingelte.
Oder besser: drei Liebhaber.
Während sie mit einer Mischung aus Freude, Stolz und Nervosität wartete, ignorierte Julie Manon, die sie ununterbrochen bedrängte und dabei klagend miaute.
Die massive, mit Eisennägeln beschlagene Tür öffnete sich.
»Ich bin unendlich froh, Julie, dass du gekommen bist.«
Madame Victorine begrüßte Julie mit drei bisous. Anerkennend lobte sie Julies Kleidung. Dann führte sie das Mädchen in den Salon, in dem unzählige Kerzen in Lüstern, Haltern und hohen, bauchigen Gläsern brannten.
»Die Herren lassen uns noch ein wenig Zeit.«
Im Salon stand ein bereits eingedeckter ovaler Tisch, auf dem sich das sanfte Licht der Kerzen in eleganten Gläsern und silbernem Besteck spiegelte. Eine Sitzgruppe mit einer roten Chaiselongue und zwei dunkelbraunen Chippendale-Sesseln war vor dem Kamin gruppiert. Eine zweiflügelige Tür führte wohl in den Garten. Doch sowohl die Scheiben der Türen als auch der Fenster waren mit Vorhängen verdeckt.
»Wir wollen uns ein wenig herrichten, bevor die drei Galane uns Gesellschaft leisten«, verkündete Victorine und schritt vor Julie die geschwungene Treppe hinauf. Dabei hob sie ihr schwarzes, fließendes Abendkleid an, und Julie bewunderte die hohen High Heels, die Madame trug.
Im Obergeschoss führte Madame sie durch einen Flur mit vier verschlossenen Türen.
»Was ist in den Zimmern?«, fragte Julie.
»Das wirst du noch früh genug sehen«, antwortete Madame. Sie öffnete die letzte Tür und bedeutete Julie einzutreten. Es war ein Prinzessinnenzimmer! Mit einem Himmelbett, einem begehbaren Schrank, einer Kommode, einem Boudoir-Schminktisch mit großem Spiegel und einem Hocker davor.
»Ich habe mir vorgestellt, dass du heute Abend dieses Modell trägst«, lächelte Victorine und nahm ein schulterfreies, kirschrotes Kleid vom Bett. »Es passt zu deinen Augen und zu deinem Champagnerteint.«
Sie half Julie, sich auszuziehen.
»Oh, dein Geschmack ist erstaunlich!«, flüsterte Madame Hersant, als die Valisère-Wäsche zum Vorschein kam.
»Darf ich sie denn anbehalten?«
»Aber natürlich. Eine ausgezeichnete Wahl.«
Es hingen Dutzende Kleider im Schrank, Dior, Chanel, Valentino, Escada. Darunter standen etliche teuer aussehende Schuhe mit Stiletto-Absätzen.
Madame stellte ihr High Heels mit Knöchelriemchen hin und begann, Julie zu schminken und ihr rotes Haar
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