Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
aufzustecken.
»Magst du Katzen?«, fragte Victorine Hersant. »Ich habe draußen deine Freundin gesehen, es schien, als wäre sie gern mit reingekommen.«
»Ich liebe Katzen, aber Manon besonders.«
»Manon? Wie die Oper?«
»Manon ist eine Oper?«
Victorine lachte. »Aber ja. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das sein Glück sucht. Wusstest du, dass Katzen unsere Seelenschwestern sind? Früher wurden sie oft als Gefährtinnen der Hexen angesehen und mit ihnen zusammen verbrannt.«
»Sind wir denn Hexen?«, fragte Julie verlegen.
Victorine beugte sich zu ihr hinab, so dass sich ihrer beider Gesichter in dem goldumrahmten Spiegel begegneten.
»Das will ich doch hoffen«, sagte sie lächelnd.
Da begriff Julie, dass sie noch nie eine Freundin gehabt hatte. Und ohne es verhindern zu können, traten ihr Tränen in die Augen.
»Was hast du denn, mein Kätzchen?«, fragte Victorine.
»Ich war noch nie so glücklich«, flüsterte Julie.
Victorine setzte sich neben sie.
»Schau dich an«, sagte sie mit dunkler Stimme. »Und vergiss diesen Moment niemals.«
Innerlich bebend schritt Julie fünf Minuten später mit Victorine die Treppe hinunter. Die Herren trugen Smokings und lächelten den Frauen entgegen.
»Ah! Das Warten hat sich gelohnt«, sagte Monsieur Amaury liebenswürdig und verneigte sich ehrerbietig. Monsieur Lagadère betrachtete Julie mit flackerndem, glutvollem Blick.
Monsieur Alexandre reichte Julie formvollendet die Hand. »Julie«, raunte er. »Sie sehen berauschend aus.«
Er küsste ihre Hand, ja, tatsächlich, seine wunderbaren Lippen berührten ihre Haut. Mehr noch, César zog Julie zu sich heran, ganz nah, und dann – küsste er sie. Nicht auf den Mund. Aber direkt neben die Mundwinkel, links und rechts und links. Unglaublich langsam und aufregend.
Danach reichte Victorine ihr ein Glas Champagner.
»Und nun«, verkündete sie feierlich, während sie ein kleines Tablett vom Tisch nahm, auf dem fünf Bonbons in unterschiedlichen Farben lagen. An den weißen Streifen erkannte Julie die gefüllten Karamellbonbons der Region, Berlingots aus Carpentras. Sie schaute Madame Victorine fragend an. Ihre neue Freundin nahm eins der Bonbons und steckte es sich in den Mund. Dann bedienten sich die Herren. Zum Schluss lag nur noch das rote Berlingot auf dem Tablett. Alle vier sahen Julie erwartungsvoll an.
Sie nahm das letzte Bonbon, schob es in den Mund und lutschte daran. Es war einfach nur ein Berlingot. Dennoch beobachteten ihre Gastgeber sie aufmerksam. Als sie es mit einem knirschenden Geräusch zerbiss, hatte sie mit einem Mal einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Doch bevor sie etwas sagen konnte, hoben die vier ihre Gläser.
»Auf den Einzigen«, begann Victorine.
»Auf den Göttlichen Marquis«, sagte Monsieur Amaury.
»Auf das Missgeschick der Tugend«, knurrte Monsieur Lagadère.
»Und auf die Befreiung der schlafenden Unschuld«, fügte César Alexandre mit einem Blick in Richtung Julie hinzu.
Sie tranken.
»Zu Tisch!«, rief Victorine.
In Julies Wahrnehmung begann der Abend, sich in mehrere Ströme aufzuspalten. Ströme, die sich erst langsam, dann immer schneller in einem bunten Wirbel drehten.
Monsieur Alexandre. Seine erotisierende Gegenwart zu ihrer Rechten am Tisch. Erst nur eine Berührung der Ellbogen, dann ein Schenkel, der gegen den ihren drückte, verborgen im Dunkel unter der langen, weißen Tischdecke. Er trug das Smokinghemd. Ihr Smokinghemd!
Und wieder Champagner, den ihr Amaury, der zu ihrer Linken saß, behende einschenkte. Sie fand den Notar mit den buschigen Augenbrauen im molligen Gesicht lustig. Obwohl sie nach Victorines Einweisung wusste, dass er der ligotage- Liebhaber war, dessen Leidenschaft dem Fesseln gehörte. Amaury besaß Witz und Charme, vor allem als während der Konversation deutlich wurde, wie wenig Julie von der Welt wusste. Sie kannte weder »Madame Butterfly«, noch hatte sie von Michelangelos berühmtem »David« gehört.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Julie«, sagte er weich. »Um glücklich zu sein, brauchen Sie keinem nackten Mann aus Marmor auf seine Murmeln geschaut zu haben. Nur mit Puccini, mit dem würde ich Sie gern bekannt machen.«
»Ich freue mich darauf, den Monsieur kennenzulernen«, sagte Julie artig und bekam dafür von Victorine ein warmherziges Lächeln und lobendes Nicken geschenkt.
Sie nahm wahr, wie die anderen miteinander umgingen. Alle Männer huldigten Victorine, aber César war ihr König. Auch wenn
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