Commissaire Mazan und die Erben des Marquis: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)
Magnolienbaum, über dem Schmetterlinge taumelten. Die Terrassentür zum Haus: offen. Die Mauer zur Straße: über zwei Meter hoch. Die Fassaden der angrenzenden Häuser: keine Fenster.
Keine Zeugen.
Wieder richtete sie ihren Blick auf das Mädchen. Und entdeckte die Blutergüsse an den Oberarmen.
Jemand hat auf deinen Armen gekniet?
Immer mehr Details registrierte Zadira: das gekonnte Make-up, die Schwellungen im Gesicht, die sicher von Schlägen herrührten, das Würgemal – ein umlaufendes Muster am Hals –, die Striemen am ganzen Körper.
Schläge. Gewalt. Sex. Sex?
»Ich habe sie entdeckt, weil die Katze so schrie«, vernahm sie jetzt Jeffrey Spencers Stimme. »Da habe ich durch den Spalt geschaut und … Es war Brunets Katze. Manon heißt sie. Sie saß neben Julie und schrie so entsetzlich.«
»Julie? Sie kennen sie?«
Der Engländer fuhr sich mit der Hand über den Mund.
»Ich habe sie schon mal im Hotel gesehen, dem Château de Mazan. Sie arbeitet dort.«
Zadira wandte sich an den Arzt: »Faktenlage, bitte.«
Doktor Parceval zählte auf: Hämatome. Striemen. Strangulation. Die starke Durchblutung der Schamlippen wies auf Sex vor dem Tod hin. Ob eine Vergewaltigung vorlag, könnte nur durch eine genauere Untersuchung festgestellt werden.
Zadira nickte und fixierte das Haus.
»Sergeant Brell. Wer wohnt in dem Haus?«
»Niemand. Es stand immer leer.«
»Auch jetzt? Ist da jemand drin? Haben Sie das überprüft?«
Der Sergeant wurde rot.
»Nein«, gab er zu.
Zadira wusste: Es war relativ unwahrscheinlich, dass der oder die Täter noch vor Ort waren, aber sie musste es überprüfen. Nicolas, ihr Ausbilder, hätte ihr den Arsch aufgerissen, wenn sie es nicht gemacht hätte.
»Sie sichern den Vordereingang, Brell. Klingeln Sie, rufen Sie, machen Sie Lärm. Aber Sie gehen unter keinen Umständen rein, verstanden?«
Der Sergeant nickte, zog seine Hose höher und wuchtete seinen schweren Körper zur Haustür. Spencer und Parceval beobachteten Zadira unruhig, als sie sich rasch durch den Garten zur Hintertür bewegte. Neben der Tür blieb sie stehen und zog ihre Waffe.
Einen geschlossenen Raum am Tatort zu betreten war wie ein Hütchenspiel mit dem Tod. Die meisten ihrer getöteten Kollegen waren erwischt worden, weil sie in der Annahme, dass der Mörder, der Dealer, der Einbrecher schon längst weg war, zu nachlässig durch die Tür getreten waren. Zadira hörte die Türklingel. Brells Wummern an der Tür. Sie hörte, wie er rief: »Polizei! Machen Sie die Tür auf!«
Doch nichts regte sich im Innern des Hauses.
Achtzig Prozent der Verrückten würden jetzt schon anfangen herumzubrüllen. Die Opfer würden »hier, hier« oder »Hilfe« rufen. Aber es kam auf die an, die stillhielten.
Mit der Waffe im Anschlag trat Zadira ins schattige Innere des Hauses. Ihr Blick zuckte durch den Raum. Ein Salon. Sie erkannte die Umrisse eines Kaminsimses. Kerzenleuchter. Eine Sitzecke. Ein ovaler Esstisch rechts von ihr. Gedecke, benutzt, Gläser, weitere Kerzenleuchter. Es roch nach Essen.
Sie rückte weiter vor, sicherte den Flur. Ein Bad, vollverspiegelt. Eine offene Tür, die in den Keller führte. Die Küche, alte, schöne Fliesen, moderner Kühlschrank.
Zurück im Flur, stieg sie lautlos die Stufen in den ersten Stock empor. Vier Türen. Alle offen. Eine führte in ein Zimmer mit fünf Stühlen, einer davon mit hoher Lehne. Hinter einer weiteren Tür fand sie einen Raum mit etwas, das wie ein Turnbock aussah. An der Wand hingen, ordentlich aufgerollt, schwarze, weiße und rote Seile. Im nächsten Zimmer standen ein Paravent und eine Récamière. Und überall geschlossene Fensterläden. Es lag ein Hauch von Parfüm in der Luft. Männerparfüm. Frauenparfüm. Wachsgeruch.
Und der Geruch der Angst. Julie, was hat man hier mit dir gemacht?
Schließlich sicherte Zadira das letzte Zimmer der Etage.
Sekundenlang stand sie auf der Schwelle und betrachtete das eiserne Himmelbett mit dem Spiegel im Baldachin. Neben dem Bett eine weitere kleinere Tür. Dahinter eine Garderobe mit Designer-Kleidern.
Zadira steckte die Waffe zurück in das Holster.
Das Haus war leer, zumindest von menschlicher Gegenwart. Dennoch spürte Zadira es.
Sie war davon überzeugt, dass heftige Gefühle wie Wut, Hass und Lust Spuren in Räumen hinterließen, die eine gewisse Zeit lang wahrzunehmen waren. Dieses Haus war voll davon.
Sie ging wieder nach unten in den Salon. Neben dem kalten Rußaroma der Kerzen roch es nach Resten von
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