Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
gedehntes und sehr nachdenkliches »Hmmmm« vernehmen. Er begriff selbst nicht, warum Patta sich jedes Mal davon täuschen ließ, aber auch jetzt geschah es wieder. Vielleicht litt sein Vorgesetzter an Gedächtnisstörungen, oder er reagierte reflexartig auf Bekundungen äußerster Ehrerbietigkeit, so wie ein Alphahund nicht fähig ist, einen Hund anzugreifen, der sich auf den Rücken wirft und ihm Bauch und Kehle darbietet.
Brunetti wusste, dass er besser den Mund halten sollte. Zu riskant, jetzt zu sagen: »Das war mir nicht klar«, denn Patta hätte darin Sarkasmus wittern können; und er konnte Patta auch nicht bitten, ihm die Bedeutung einer Beziehung zu erläutern, die sich für seinen Chef von selbst erklärte. Wenn ihm sein Job lieb war, durfte er schon gar nicht die vorwitzige Frage stellen, warum Pattas Sohn zum Veterinär [51] ging und nicht zu einem richtigen Arzt. Er wartete, den Kopf zur Seite geneigt wie ein sehr aufmerksamer Hund.
»Salvo hatte einen Husky. Die sind sehr empfindlich, besonders in unserem Klima. Er litt an Ekzemen, wegen der Hitze. Dottor Niccolini war der Einzige, der ihm ein wenig helfen konnte.«
»Was ist geschehen, Signore?«, fragte Brunetti aufrichtig neugierig.
»Ach, Salvo musste den Hund weggeben. Ihm wurde das einfach zu viel. Aber auf den Arzt lässt er seitdem nichts kommen, und sicher erwartet er von uns, dass wir ihm auf alle erdenkliche Weise zur Seite stehen.« Kein Zweifel: Brunetti vernahm in Pattas Stimme echte menschliche Anteilnahme.
Auch nach so vielen Jahren hatte Brunetti nicht abzuschätzen gelernt, in welchen Situationen Patta weich wurde und Mitgefühl mit anderen bekundete. Er fühlte sich dann immer hilflos und zu dem Verdacht verleitet, in der Seele seines Vorgesetzten könnten doch noch Spurenelemente von Menschlichkeit vorhanden sein. Pattas Rückfall in seine übliche Herzlosigkeit vermochte Brunetti nicht von seiner Bereitschaft abzubringen, sich täuschen zu lassen.
»Ist er noch hier?«, fragte Brunetti, der gern gewusst hätte, ob Patta mit Signora Altavillas Sohn Kontakt aufgenommen hatte, das aber nicht direkt fragen wollte.
»Nein, nein. Er arbeitet irgendwo anders. Vicenza. Verona. Eins von beiden, ich weiß es nicht mehr.«
»Verstehe«, sagte Brunetti und nickte nachfühlend. »Und meinen Sie, er arbeitet immer noch als Tierarzt?«
Patta hob den Kopf, als habe er plötzlich einen merkwürdigen Geruch gewittert. »Warum fragen Sie?«
[52] »Wir müssen ihn benachrichtigen. In der Wohnung war kein Adressbuch zu finden, und die Nachbarin oben konnte ich zu dieser Stunde nicht befragen. Aber wenn er noch als Tierarzt tätig ist, müsste er in einer der beiden Städte im Telefonbuch stehen.«
»Natürlich müssen wir ihn benachrichtigen«, sagte Patta mit neu entflammtem Zorn, ganz so, als habe Brunetti dagegen Einspruch erhoben. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie auf etwas so Selbstverständliches hinweisen muss.« Und damit Brunetti nicht aufstand und ging, fuhr er fort: »Die Sache muss schleunigst aufgeklärt werden. Die Leute in dieser Stadt sollen nicht denken, dass sie in ihren Häusern nicht sicher sind.«
»Gewiss, Vice-Questore«, sagte Brunetti eifrig. Er hätte zu gern gewusst, wer Patta bedeutet haben mochte, Signora Altavillas Tod könnte Anlass zu Sicherheitsbedenken geben. »Ich werde gleich nachsehen und Signora Giusti anrufen ...«
»Wen?«, fragte Patta misstrauisch.
»Die Frau von oben, Signore. Sie scheint die Tote ganz gut gekannt zu haben.«
»Dann sollte sie wissen, wo der Sohn zu finden ist«, sagte Patta.
»Das hoffe ich, Dottore.« Brunetti machte Anstalten aufzustehen.
»Was wollen Sie der Presse sagen?«, fragte Patta mit lauerndem Unterton.
»Haben die sich schon bei Ihnen gemeldet, Signore?«, fragte Brunetti und sank auf den Stuhl zurück.
»Allerdings«, antwortete Patta und bedachte ihn mit einem [53] Blick, als argwöhne er, Brunetti oder Vianello - oder womöglich Rizzardi - hätten die Stunden bis zum Morgengrauen am Telefon mit Reportern verbracht.
»Wofür haben sie sich interessiert?«
»Sie wissen den Namen der Frau und haben sich nach den Umständen ihres Todes erkundigt, nichts, was über die üblichen Fragen hinausginge.«
»Was haben Sie ihnen gesagt, Signore?«
»Dass die Ermittlungen zu den Umständen ihres Todes bereits laufen und wir im Lauf des Tages oder spätestens morgen den Bericht des medico legale erwarten.«
Brunetti nickte beifällig. »Dann kümmere ich
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