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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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mich jetzt um den Sohn, Signore. Die Nachbarin weiß bestimmt, wo er zu finden ist.« Bevor Patta fragen konnte, erklärte Brunetti: »Sie war letzte Nacht nicht in der Verfassung, irgendwelche Fragen zu beantworten, Signore.« Und da Patta dazu schwieg, sagte Brunetti: »Ich werde gleich mit ihr sprechen.«
    »Worüber?«
    »Über Signora Altavillas Leben, über den Sohn, ob ihr irgendetwas einfällt, das uns Anlass zu Besorgnis geben könnte.« Da er Patta gar nicht erst zu dem Schluss verleiten wollte, Signora Giusti könnte etwas mit dem Tod ihrer Nachbarin zu tun haben, ließ er Palermo unerwähnt und verschwieg auch, dass Vianello mit den Nachbarn unten im Haus sprechen wollte.
    »›Besorgnis‹, Brunetti? Ich hielte es für klüger, die Ergebnisse der Autopsie abzuwarten, bevor Sie Ausdrücke wie ›Besorgnis‹ verwenden.« Es beruhigte Brunetti geradezu, Patta wieder in gewohnter Form zu sehen, als Meister der Ausflüchte, dem es so mühelos gelang, alles Unangenehme [54]  und Unrühmliche beiseitezuschieben. »Wenn die Frau eines natürlichen Todes gestorben ist, besteht kein Anlass zur Besorgnis, und daher sollten wir dieses Wort auch gar nicht erst in den Mund nehmen.«
    Als fürchte er, die Presse könnte von seiner Bemerkung Wind bekommen und sich auf die darin geäußerte Gefühllosigkeit stürzen, stellte Patta umgehend für jene stummen Zuhörer klar: »Natürlich nur, was unsere Ermittlungen angeht. Menschlich betrachtet ist ihr Tod, so wie der Tod überhaupt, eine Tragödie.« Er mochte an seinen Sohn denken, als er hinzufügte: »Und das in doppelter Hinsicht, angesichts der Umstände.«
    »In der Tat«, bekräftigte Brunetti. Er verkniff es sich, vor der sibyllinischen Dunkelheit der Worte seines Vorgesetzten respektvoll das Haupt zu neigen, und meinte nach kurzem Schweigen: »Ich denke, wir sollten vorläufig nicht mit der Presse reden, Signore, und erst einmal abwarten, was Rizzardi uns zu sagen hat.«
    Patta klammerte sich an diese Hoffnung wie an einen rettenden Strohhalm: »Sie meinen also, es war ein natürlicher Tod?«
    »Das kann ich nicht sagen, Signore«, antwortete Brunetti; den Fleck am Schlüsselbein der Frau verschwieg er vorläufig. Sollte die Obduktion Hinweise auf ein Verbrechen ergeben, wollte er es Patta überlassen, sich als Beschützer der Stadt hervorzutun.
    »Wenn die Ergebnisse vorliegen, sollten Sie es sein, der mit der Presse spricht, Signore. Ein Statement erhält größeres Gewicht, wenn es von Ihnen persönlich kommt.« Brunetti krümmte seine rechte Hand zur Faust. Nicht einmal ein Betahund [55]  muss so lange auf dem Rücken liegen bleiben, sagte er sich, plötzlich seiner Schauspielerei müde.
    »So ist es«, sagte Patta, nun wieder bester Laune. »Lassen Sie mich sofort wissen, was Rizzardi zu berichten hat.« Dann unterstrich er nochmals: »Und finden Sie ihren Sohn. Er heißt Claudio Niccolini.«
    Brunetti wünschte dem Vice-Questore einen guten Morgen und ging ins Vorzimmer, um mit Signorina Elettra zu sprechen, der es mit Sicherheit ein Leichtes war, irgendwo im Veneto einen Tierarzt mit Namen Claudio Niccolini aufzuspüren.

[56]  6
    E s war noch viel einfacher, als Brunetti sich vorgestellt hatte: Signorina Elettra gab lediglich »Tierarzt« in den Gelben Seiten der beiden Städte ein, und schon hatte sie die Nummer der Praxis von Dott. Claudio Niccolini in Vicenza ermittelt.
    Brunetti ging zum Telefonieren in sein Büro, erfuhr aber nur, dass der Arzt heute nicht in der Praxis war. Als er seinen Rang und Namen nannte und erklärte, er müsse mit dem Arzt über den Tod seiner Mutter sprechen, antwortete die Frau am anderen Ende der Leitung, Dr. Niccolini sei schon informiert und auf dem Weg nach Venedig, vermutlich sei er bereits eingetroffen. In ihrer Stimme schwang unverkennbarer Tadel mit. Brunetti hielt sich nicht mit einer Rechtfertigung für den verspäteten Anruf auf und bat stattdessen um die Handynummer des Arztes. Die Frau gab sie ihm und beendete das Gespräch ohne einen weiteren Kommentar.
    Brunetti wählte die Nummer; beim vierten Läuten meldete sich eine Männerstimme: »Si?«
    »Dottor Niccolini?«
    »Si. Chi parla?«
    »Commissario Guido Brunetti, Dottore. Zunächst einmal möchte ich Ihnen mein Beileid aussprechen«, sagte Brunetti. Er schwieg ein wenig und fügte dann hinzu: »Ich würde gern mit Ihnen über Ihre Mutter reden.« Brunetti hatte keine Ahnung, was ihn eigentlich dazu berechtigte, denn er hatte die Wohnung der Frau nur aus

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