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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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und reichte ihm die Hand. »Tut mir leid, dass wir uns hier kennenlernen müssen, Signore.« Brunetti hatte diese Szene schon unzählige Male beobachtet, doch Rizzardis Anteilnahme war so echt, als erlebe er die Situation zum ersten Mal und wolle sein Bestes tun, um die Trauer der Angehörigen zu lindern.
    Niccolini stand auf und klammerte sich an Rizzardis Hand. Der Pathologe verzog den Mund, so kräftig packte der andere zu. Dann kam er näher und legte ihm die Linke auf die Schulter. Niccolini entspannte sich ein wenig, stöhnte auf, presste die Lippen zusammen und legte den Kopf in den Nacken. Er atmete ein paarmal tief durch die Nase ein und gab Rizzardis Hand schließlich frei. »Also?«, fragte er beinahe flehend.
    [63]  Rizzardi schien Niccolinis Tonfall nicht aus der Ruhe zu bringen. »Vielleicht sollten wir das besser in meinem Büro besprechen«, sagte er leise.
    Brunetti folgte ihnen zu Rizzardis Büro, das links am Ende des Korridors lag. Auf halbem Weg dorthin blieb Niccolini stehen, und Brunetti hörte ihn sagen: »Ich glaube, ich muss an die frische Luft. Ich möchte nicht mehr hier drin sein.« Brunetti war nicht entgangen, dass der Tierarzt nach Luft rang, also schritt er an Rizzardi vorbei und dann den beiden voraus durch die verschiedenen Gänge und Höfe zum Haupteingang und auf den campo hinaus, wo er feststellte, dass die Schönheit des Tages immer noch auf sie wartete.
    Zurück in der Sonne und in der Welt der Lebenden, überkam Brunetti ein heftiges Verlangen nach Kaffee, vielleicht brauchte er auch nur den Zucker. Während die drei die flachen Stufen hinunter- und über den campo gingen, legte Niccolini wieder den Kopf nach hinten und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen - eine Geste, die für Brunetti beinahe etwas Rituelles hatte. An der Colleoni-Statue blieben sie stehen, und Brunetti sah sehnsüchtig nach den Cafés auf der anderen Seite des campo hinüber. Ohne zu fragen, brach Rizzardi in Richtung Rosa Salva auf, drehte sich um und bedeutete ihnen, ihm zu folgen.
    An der Bar bestellte Rizzardi Kaffee, die beiden anderen bestätigten mit einem Nicken, dass sie auch einen wollten. Leute standen herum, aßen Gebäck, manche auch schon tramezzini, tranken Kaffee oder einen vormittäglichen spritz. Wie wunderbar, und doch wie entsetzlich, von dort drüben hier hineinzukommen, zum Zischen der Kaffeemaschine und [64]  dem Klappern der Tassen, jäh konfrontiert zu sein mit dem, was wir alle wissen und immer gern verdrängen: dass das Leben weitergeht, ganz gleich, was einem von uns geschieht. Es setzt einen Fuß vor den anderen und pfeift mal traurig, mal heiter vor sich hin, hält aber niemals inne.
    Als die drei Tassen vor ihnen auf dem Tresen standen, rissen Rizzardi und Brunetti Zuckertütchen auf und rührten den Inhalt in ihren Kaffee. Niccolini starrte seine Tasse an, als wisse er damit nichts anzufangen. Erst als ihn jemand anstieß, der an ihm vorbei seine Tasse zurückstellte, nahm auch er sich Zucker.
    Als sie ausgetrunken hatten, legte Rizzardi Geld auf die Theke, und die drei gingen auf den campo hinaus. Ein kleiner Junge, der Brunetti kaum übers Knie reichte, flitzte jauchzend auf einem Tretroller an ihnen vorbei, verfolgt von seinem Vater, der ihm außer Atem nachschrie: »Marco, Marco, fermati.«
    Rizzardi lehnte sich an das Geländer vor der Colleoni-Statue und sah die Barbaria delle Tole hinunter, die Basilika zu seiner Linken. Brunetti und Niccolini nahmen ihn in die Mitte. »Ihre Mutter ist an Herzversagen gestorben, Dottore«, sagte Rizzardi unvermittelt und ohne Niccolini anzusehen. »Es muss sehr schnell gegangen sein. Ich weiß nicht, ob sie große Schmerzen hatte, aber ich kann Ihnen versichern, dass es sehr schnell gegangen ist.«
    Unterdessen schallte weiterhin Marcos Jubel über die Entdeckung der Geschwindigkeit über den Platz.
    Niccolini atmete erleichtert auf, wie jeder es bei einer solchen Auskunft tun würde. Die drei Männer lauschten dem Geschrei des Jungen und den mahnenden Rufen seines Vaters.
    [65]  Niccolini räusperte sich und sagte mit belegter Stimme: »Signora Giusti - die Nachbarin meiner Mutter - sagt, sie hat Blut gesehen.« Er schwieg, und als Rizzardi nichts darauf erwiderte, fragte er: »Stimmt das, Dottore?« Brunetti sah Niccolinis Hände, zu Fäusten geballt, vor Anspannung zittern.
    Der kleine Junge sauste lärmend an ihnen vorbei, und als er das andere Ende des campo erreichte, sah Rizzardi Brunetti fragend an, als wünsche er

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