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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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auf Augenhöhe zu sitzen kamen.
    Brunetti beugte sich zur Seite und angelte nach seiner Brieftasche, um ihr seine Dienstmarke zu zeigen, aber sie tat das mit einer Handbewegung ab. »Die brauche ich nicht zu sehen, Signore. Polizisten erkenne ich auch so.«
    Brunetti nahm die Hand aus seinem Jackett und versuchte eine gerade Haltung einzunehmen, aber das war so unbequem, dass er aufstand und sich auf die Armlehne setzte. »Ich wurde letzte Nacht angerufen, als Signora Altavilla gefunden wurde, und bin in ihre Wohnung gegangen. Ich habe mit ihrer Nachbarin gesprochen«, erklärte er; die Nonne nickte, woraus er schloss, dass sie entweder die Frau kannte und von ihrem guten Verhältnis zu Signora Altavilla wusste, oder aber bereits von dem Anruf gehört hatte.
    »Die Obduktion, die heute Vormittag durchgeführt wurde ...«, fing er an und sah die Augen der Nonne kleiner werden, »... hat Hinweise darauf ergeben, dass Signora Altavilla an einem Herzversagen gestorben ist.« Er hielt inne und sah sie an.
    »Hinweise?«, fragte Madre Rosa.
    »Sie hatte eine Platzwunde an der Stirn, die sie sich nach Ansicht des Pathologen bei ihrem Sturz zugezogen haben muss. Wie ich selbst gesehen habe, ist sie neben einem Heizkörper zu Boden gefallen: Das wäre eine Erklärung.« Sie nickte, schien aber nicht überzeugt.
    Dann geschah etwas, das Brunetti seit seiner Grundschulzeit nicht mehr gesehen hatte: Sie griff unter ihr langes weißes Skapulier und holte den Rosenkranz hervor, der von ihrem [87]  Gürtel herabhing. Den Blick weiter auf Brunetti gerichtet, ließ sie eine Perle nach der anderen durch ihre Finger gleiten. Er hatte keine Ahnung, ob sie betete oder ob sie die Perlen nur berührte, um daraus Kraft und Trost zu schöpfen. Schließlich sagte sie: »Wäre eine Erklärung?«
    Wie immer, wenn Leute ihn bei einer Ausflucht ertappten, setzte Brunetti ein verbindliches Lächeln auf. »Was da geschehen ist, werden wir erst wissen, wenn die in ihrer Wohnung gefundenen Spuren ausgewertet sind.«
    »Und dann werden Sie immer noch nichts wissen, oder?«, fragte sie. »Jedenfalls nichts Genaues.«
    Brunetti sah zu, wie Vianello seine Beine zu sortieren versuchte und dann ebenfalls aufstand. Sein Kollege stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich nach hinten, und als er wieder nach vorn kam, sagte er: »Madre, wenn wir solche Sessel bei unseren Verhören einsetzen könnten, würden wir eine Menge Zeit sparen. Und bestimmt größere Erfolge erzielen.«
    Sie versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. Zur Überraschung der beiden sagte sie plötzlich in reinstem Venezianisch: »Ti xe na bronsa coverta.« Ihr umstandsloser Wechsel vom süditalienischen Akzent in perfekten Dialekt entlockte den beiden Männern ein Lächeln. Und wie zutreffend sie Vianello eingeschätzt hatte: Tatsächlich hatte er was von einem schlafenden Vulkan oder von der Glut in einer zugedeckten Kohlenpfanne.
    Anscheinend hielt Madre Rosa die unvermittelt eingetretene Heiterkeit für unpassend, denn ihr Lächeln erstarb. Ihr Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, und Brunetti sah die Wachsamkeit in ihr Gesicht zurückkehren. [88]  »Was möchten Sie über Costanza wissen?«, fragte sie. Ihr wieder aufgeflammtes Misstrauen ließ sie noch älter erscheinen: Sie straffte die Muskeln, um sich kerzengerade aufzurichten, und ihre Mundwinkel gingen nach unten.
    Vianello tat es Brunetti nach und setzte sich auf die breite Armlehne seines Sessels. Er zückte sein Notizbuch und schraubte seinen Füller auf. »Bis jetzt wissen wir noch gar nichts über sie, Madre Rosa«, sagte Brunetti. »Ihre Nachbarin und ihr Sohn haben sie beide in den höchsten Tönen gelobt.«
    »Das bezweifle ich nicht«, sagte die Oberin.
    Da sie dem offenbar nichts hinzuzufügen hatte, fuhr Brunetti fort: »Ich würde mir gern ein Bild von ihr machen, Madre.« Wieder wartete er vergebens auf eine Reaktion der Nonne.
    »War sie bei den Leuten hier beliebt?«, fragte er mit einer ausladenden Handbewegung.
    Diesmal antwortete Madre Rosa sofort. »Sie war großzügig mit ihrer Zeit. Sie lebte im Ruhestand und war erst Mitte sechzig, hatte also auch ein eigenes Leben, trotzdem hörte sie den Leuten zu. Mit manchen ging sie unten an der riva spazieren, und wenn sie wollten, fuhr sie auch Boot mit ihnen.« Brunetti ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihre plötzliche Redseligkeit ihn überraschte.
    Da die beiden schwiegen, sprach sie weiter: »Manchmal war sie den

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