Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
auszuschließen, schaltete er den Lautsprecher ein und legte den Hörer hin.
Wieder bemerkte er nichts dazu. »Sie und der Ispettore erinnern sich also nicht an den Fall?«, fragte sie.
»Ich erinnere mich an die Leute, die das Testament beglaubigt haben, und dass Cuccetti der Alleinerbe war.«
»Ah«, machte sie vielsagend.
»Erzählen Sie«, bat Brunetti.
»Matilda Querini war seine Frau.«
»Ah, seine Frau«, ahmte Brunetti sie bewusst nach und fragte dann: »Lebt sie noch?«
»Nein. Sie ist vor sechs Jahren gestorben.«
»Wohlhabend?«
»Geld wie Heu.«
»Und wer hat das geerbt? Der Sohn war ihr einziges Kind, nicht wahr?«
»Es gibt Gerüchte, dass sie alles der Kirche vermacht hat.«
»Nur Gerüchte, Signora?«
»Na schön«, sagte sie. »Fakten. Sie hat alles der Kirche vermacht.« Sie kam seiner Frage zuvor: »Ich habe einen Freund, der im Amtssitz des Patriarchen arbeitet. Von ihm habe ich erfahren, dass es die größte Summe war, die ihnen jemals überlassen worden ist.«
»Hat er gesagt, wie viel es war?«
»Ich fand es unhöflich, danach zu fragen.«
Vianello gab ein leises Stöhnen von sich.
[234] »Und?«, fragte Brunetti, da er wusste, dass sie so etwas niemals auf sich beruhen lassen würde.
»Also habe ich meinen Vater gefragt. Ihr Geld war nicht auf seiner Bank, aber er kennt den Direktor der Bank, bei der sie ihr Konto hatte, und hat ihn gefragt.«
»Verraten Sie’s mir?«
»Sieben Millionen Euro, plus minus ein paar Hunderttausend. Und das Patent für dieses Verfahren. Und mindestens acht Wohnungen.«
»An die Kirche?«, fragte Brunetti, worauf Vianello ziemlich melodramatisch das Gesicht in den Händen vergrub und heftig den Kopf schüttelte.
»Ja«, antwortete sie.
Ihm kam eine Idee. »Haben Sie sich die Konten von Cuccetti und seiner Frau angesehen?« Wenn sie das getan hatte, hatte sie gegen die Vorschriften verstoßen. Wenn er davon wusste und es für sich behielt, wurde er zum Mittäter.
»Selbstverständlich«, sagte sie.
»Lassen Sie mich raten«, sagte Brunetti. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ein wenig anzugeben. »Nach dem Verkauf wurde auf keins der Konten Geld eingezahlt.«
»Kein bisschen«, antwortete sie. »Natürlich könnte sie Morandi die Wohnung aus reiner Herzensgüte überlassen haben.« Ihr Tonfall schloss diese Möglichkeit a priori aus.
»Cuccettis Ruf macht das wenig wahrscheinlich, meinen Sie nicht auch?«, fragte Brunetti.
»Stimmt«, sagte sie. »Aber genau deshalb ist auch die Entscheidung seiner Frau, alles der Kirche zu vermachen, so ...«, begann sie, aber ihr schien kein passendes Wort einzufallen.
[235] »Grotesk?«, schlug Brunetti vor.
»Ah«, entfuhr es ihr anerkennend, weil er das Richtige getroffen hatte.
[236] 22
N achdem Brunetti ihm berichtet hatte, was ihm von Signorina Elettras Mitteilungen zu Beginn des Telefonats entgangen war, meinte Vianello, ohne eine Miene zu verziehen: »Ich sollte darüber nicht lachen, aber die Vorstellung, dass alles, was dieser gierige Mistkerl Cuccetti in seinem elenden Leben gestohlen hat, in den Taschen der Kirche gelandet ist ...« Er nickte vor sich hin, fassungslos vor Bewunderung oder Erstaunen: »Ob man sie mag oder nicht, du musst zugeben, sie sind die Besten.«
»Wer? Die Priester?«
»Priester. Nonnen. Mönche. Bischöfe und ihresgleichen. Die haben den Rüssel schon in der Suppe, bevor der Teller auf dem Tisch steht. Am Ende haben sie der Frau alles abgeluchst. Da kann ich nur gratulieren«, sagte er mit einem Kopfschütteln, das wohl doch ein Zeichen echter - wenn auch widerwilliger - Bewunderung war.
Brunetti wusste dem nichts entgegenzusetzen und fand, sie sollten jetzt besser nach Hause zu ihren Familien gehen, ein Vorschlag, den Vianello dankbar annahm. Sie verließen zusammen die Questura und gingen dann getrennter Wege.
Brunetti beschloss, zu Fuß zu gehen, er wollte das Gefühl von Freiheit genießen, das er immer hatte, wenn er, ohne bewusst seine Schritte lenken zu müssen, die Stadt durchquerte. Erinnerung und Phantasie schweiften gemächlich zu den Namen Cuccetti und Reynard zurück. Bei dem ersten empfand er nur vagen Abscheu, bei dem zweiten Mitleid.
[237] Er blieb am Fuß der Rialtobrücke stehen und sammelte seine Gedanken. Die Aussicht, entlang der weniger bevölkerten riva nach Hause zu gehen, war verlockend, dennoch entschied er sich, bei Biancat vorbeizugehen, um Paola einen Strauß Blumen zu kaufen: Das hatte er schon viel zu lange
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