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Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers

Titel: Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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vollgestopft mit Büchern, Zeitschriften, unter der Fensterbank ein mit Papierbögen übersätes Tischchen. »Wo ist Pino denn hin?«
    »Nach Raccadali, da probt er ein Stück von Martoglio, das vom enthaupteten Johannes dem Täufer. Meinem Sohn gefällt das, fari u triatru, Theater spielen.«
    Ihr mütterlicher Stolz drückte sich in einem starken sizilianischen Dialekt aus, einer Sprache, die Gefühle soviel besser in Worte zu fassen vermag.
    Montalbano ging zu dem Tischchen. Offensichtlich arbeitete Pino gerade an einer Komödie, auf ein Blatt Papier hatte er eine Reihe von Dialogen geschrieben. Plötzlich las der Commissario einen Namen, der ihn wie ein Blitz traf.
    »Signora, könnten Sie mir bitte ein Glas Wasser bringen?«
    Kaum war die Frau hinausgegangen, faltete er das Blatt zusammen und steckte es ein.
    »Das Couvert«, erinnerte ihn die Signora, als sie zurückkam und ihm das Glas reichte.
    Montalbano führte eine perfekte Pantomime vor, Pino hätte ihn, wäre er da gewesen, sehr bewundert. Er wühlte in seinen Hosentaschen, dann, hastiger, in den Jackentaschen, machte ein überraschtes Gesicht, und zum Schluß schlug er sich mit der geschlossenen Faust gegen die Stirn.
    »Was bin ich doch für ein Idiot! Ich hab' das Couvert im Büro liegenlassen! Dauert nur fünf Minuten, Signora, ich geh' es schnell holen, bin gleich wieder da.«
    Er setzte sich ins Auto, zog das Blatt heraus, das er soeben gestohlen hatte, und was er las, stimmte ihn düster. Er ließ den Motor an und fuhr los. Via Lincoln 102. In seiner Aussage hatte Saro auch das Innere des Gebäudes genau beschrieben. Über den Daumen gepeilt mußte der Müllmann und Landvermesser im sechsten Stock wohnen.
    Die Haustür stand offen, aber der Aufzug war kaputt. Er stieg die sechs Stockwerke zu Fuß hinauf und genoß dann die innere Befriedigung, richtig geschätzt zu haben: Ein glänzend poliertes Namensschild trug den Schriftzug »MONTAPERTO BALDASSARE«. Eine zierliche junge Frau öffnete ihm. Sie hatte ein Kind auf dem Arm und sah ihn verängstigt an. »Ist Saro da?«
    »Er ist in die Apotheke gegangen, um Medikamente für unseren Sohn zu holen. Er kommt aber jeden Moment zurück.«
    »Warum, ist er krank?«
    Ohne zu antworten, streckte die Frau das Kind hin, damit er es selbst sehen konnte. Der kleine Kerl war tatsächlich krank, und wie! Gelbe Gesichtsfarbe, die Wangen hohl, große, erwachsen wirkende Augen, die ihn zornig anblickten. Montalbano fühlte Mitleid, er ertrug es nicht, wenn unschuldige kleine Kinder leiden mußten.
    »Was hat er?«
    »Die Ärzte können es sich nicht erklären. Wer sind Sie?«
    »Ich heiße Virduzzo und bin der Buchhalter von der ›Splendor‹.«
    »Kommen Sie rein.«
    Die Frau schien beruhigt. Die Wohnung war unordentlich; es war nicht zu übersehen, daß Saros Ehefrau sich zu sehr um den Kleinen kümmern mußte, um auf anderes achten zu können. »Was wollen Sie von Saro?«
    »Ich glaube, ich habe - und das ist allein meine Schuld bei der letzten Lohnabrechnung einen Fehler gemacht. Ich möchte gerne seinen Lohnzettel sehen.«
    »Wenn's nur darum geht«, sagte die Frau, »brauchen wir nicht auf Saro zu warten. Den Lohnzettel kann auch ich Ihnen zeigen. Kommen Sie!«
    Montalbano folgte ihr, er hatte bereits einen neuen Vorwand parat, um die Rückkehr des Ehemannes abwarten zu können.
    Im Schlafzimmer herrschte ein übler Geruch, wie von sauer gewordener Milch. Die Frau versuchte die oberste Schublade einer Kommode zu öffnen, schaffte es aber nicht. Sie konnte nur eine Hand benutzen, im anderen Arm hielt sie den Kleinen.
    »Wenn Sie erlauben, mache ich das«, sagte Montalbano. Die Frau trat zurück, der Commissario zog die Schublade auf, die voller Papiere war, Rechnungen, Arzneirezepte, Quittungen. »Wo liegen die Lohnzettel?«
    In dem Moment trat Saro ins Schlafzimmer. Sie hatten ihn nicht kommen hören, die Wohnungstür war offen geblieben. Als er sah, wie Montalbano in der Schublade wühlte, begriff er sogleich, daß der Commissario die Wohnung nach der Halskette durchsuchte. Er wurde blaß, begann zu zittern, lehnte sich an den Türpfosten. »Was wollen Sie?« stieß er mühsam hervor. Entsetzt über das offensichtliche Erschrecken ihres Mannes, sprach die Frau, bevor Montalbano antworten konnte.
    »Aber das ist doch der Buchhalter Virduzzo!«
    »Virduzzo? Das ist Commissario Montalbano!«
    Die Frau schwankte, und Montalbano eilte herbei, aus Angst, der Kleine könne gemeinsam mit seiner Mutter zu Boden

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