Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
diese Übung ja gönnen, wenn ich nicht befürchten müßte, daß Sie ihr ja doch den besten Teil Ihres Hirns widmen und Ermittlungen von weitaus größerer Bedeutung und Tragweite vernachlässigen.«
»Nein! Das ist nicht wahr!« entrüstete sich Montalbano.
»Oh, doch. Sehen Sie, das soll beileibe kein Tadel sein, wir unterhalten uns in meinem Haus, als Freunde. Warum haben Sie den doch sehr heiklen Fall des Waffenhandels ihrem Vice anvertraut, der ein hervorragender Polizist ist, aber Ihnen bestimmt nicht das Wasser reichen kann?«
»Ich habe ihm gar nichts anvertraut! Er hat selbst...«
»Seien Sie doch nicht kindisch, Montalbano. Sie laden einen großen Teil der Ermittlungen auf ihn ab. Denn Sie wissen genau, daß Sie sich ihnen nicht hundertprozentig widmen können, weil Ihr Hirn zu drei Vierteln mit dem anderen Fall beschäftigt ist. Sagen Sie es mir ehrlich, wenn ich mich täuschen sollte.«
»Sie täuschen sich nicht«, gab Montalbano nach einer Pause zu.
»Damit wäre das Thema abgeschlossen. Sprechen wir von etwa anderem. Warum, in Gottes Namen, wollen Sie nicht, daß ich Sie zur Beförderung vorschlage?«
»Sie quälen mich ja schon wieder.«
Er war guter Dinge, als er das Haus des Questore verließ, erstens wegen der alici all'agretto und zweitens, weil er einen Aufschub des Beförderungsvorschlags erreicht hatte. Die Gründe, die er dafür vorgebracht hatte, hatten zwar weder Hand noch Fuß, aber sein Vorgesetzter tat freundlicherweise, als glaube er ihm: Montalbano konnte ihm ja schlecht sagen, daß er allein beim Gedanken an eine Versetzung, an eine Änderung seiner Gewohnheiten Fieber bekam.
Es war noch früh, zwei Stunden noch bis zum Treffen mit Gegè. Er fuhr bei »Retelibera« vorbei, um mehr über Alcide Maraventato zu erfahren.
»Der ist ein Typ, was?« sagte Nicolò Zito. »Hat er bei dir auch an seinem Fläschchen genuckelt?«
»Allerdings.«
»Alles Bluff, der macht nur Theater.«
»Das kann nicht sein! Er hat doch keine Zähne!«
»Ach, nein? Und seit wann gibt's künstliche Gebisse? Er hat eins, und es funktioniert tadellos, man erzählt sich, daß er ab und zu ein Viertel Kalb oder ein gebratenes Zicklein verschlingt, wenn niemand zuschaut.«
»Aber warum tut er dann so?«
»Weil er ein geborener Tragöde ist. Oder ein Komödiant, wenn dir das lieber ist.«
»Ist er wirklich Priester?«
»Expriester.«
»Und was er sagt, denkt er sich das alles aus?«
»Du kannst ganz beruhigt sein. Er weiß unglaublich viel, und wenn er etwas behauptet, ist er unfehlbarer als die Bibel. Weißt du, daß er vor etwa zehn Jahren auf einen geschossen hat?«
»Tatsächlich?«
» Sissignore. Ein kleiner Dieb ist nachts ins Haus eingedrungen, ins Erdgeschoß. Er stieß gegen einen Bücherstapel, der natürlich mit furchtbarem Gepolter in sich zusammengestürzt ist. Maraventato, der oben schlief, wachte auf, kam herunter und schoß mit einem Vorderlader auf ihn, einer Art Kanone für den Hausgebrauch. Der Krach riß das halbe Dorf aus dem Schlaf. Ergebnis: Der Dieb wurde am Bein verletzt, ein Dutzend Bücher waren hinüber, und Maraventato selbst hatte eine gebrochene Schulter von dem gewaltigen Rückstoß. Aber der Dieb behauptete, er sei nicht in das Haus eingedrungen, weil er etwas klauen wollte, sondern weil der Pfarrer ihn eingeladen hatte, der dann, plötzlich und ohne erkennbaren Grund, auf ihn schoß. Ich glaube ihm.«
»Wem?«
»Dem sogenannten Dieb.«
»Aber warum hat er denn auf ihn geschossen?«
»Weißt du, was in Alcide Maraventatos Kopf vorgeht? Vielleicht wollte er nur ausprobieren, ob das Gewehr noch funktioniert. Oder ein bißchen Theater spielen, was eher anzunehmen ist.«
»Ach, da fällt mir ein – hast du die Einführung in die Semiotik von Umberto Eco?«
»Ich?! Spinnst du jetzt?«
Bis Montalbano bei seinem Wagen ankam, der auf dem Parkplatz von »Retelibera« stand, war er völlig durchnäßt. Es hatte ganz plötzlich zu regnen begonnen, ein feiner, aber dichter Regen. Zu Hause angekommen, hatte er immer noch Zeit bis zu seiner Verabredung. Er zog sich um und setzte sich in den Fernsehsessel, stand aber sofort wieder auf, um vom Schreibtisch eine Postkarte zu holen, die morgens angekommen war.
Sie war von Livia, die, wie am Telefon angekündigt, für zehn Tage zu einer Cousine nach Mailand gefahren war. Auf der Bildseite mit der unvermeidlichen Ansicht des Doms zog sich eine glänzende Schleimspur quer über das halbe Bild.
Montalbano berührte sie mit der
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