Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
wenn das Fieber wieder vorbei ist. Im Kopf, nicht am Körper. Ich wollte dir sagen, daß mich als Frau noch nie jemand so gekränkt hat, wie du das getan hast.«
»Anna...«
»Laß mich ausreden. Richtig gekränkt. Du bist ein ganz gemeiner Dreckskerl, Salvo. Und ich habe das nicht verdient.«
»Anna, sei doch vernünftig. Was heute nacht passiert ist, war doch nur zu deinem Besten...«
Anna legte auf. Montalbano hatte ihr schon hundertmal erklärt, daß da nichts lief, aber er wußte, daß die junge Frau sich in diesem Augenblick hundeelend fühlte, und kam sich noch viel mieser vor als ein Schwein, denn Schweinefleisch taugte zumindest zum Essen.
Das Haus am Ortseingang von Gallotta fand er sofort, aber es schien ihm unmöglich, daß jemand in dieser Ruine wohnen konnte. Das Dach war halb eingefallen, in den dritten Stock regnete es bestimmt hinein. Schon bei diesem leichten Wind schlug ein Fensterladen, der unbegreiflicherweise noch an seinem Platz hing. Im oberen Teil der Fassade wies die Außenmauer handbreite Risse auf. Die unteren Stockwerke und das Erdgeschoß schienen in besserem Zustand zu sein. Der Verputz war längst verschwunden, die Fensterläden waren alle kaputt, die Farbe abgeblättert, aber sie schlossen anscheinend wenigstens, wenn sie auch windschief waren. Ein schmiedeeisernes Gartentor stand halb offen und neigte sich nach außen, wahrscheinlich seit undenklichen Zeiten schon, und überall Unkraut und Erde.
Der Park war eine ungepflegte Ansammlung verkrüppelter Bäume und dichter Büsche, ein undurchdringliches Dickicht. Montalbano ging einen Pfad aus losen Steinen entlang und blieb vor der Tür, von der die Farbe abgeblättert war, stehen. Es wurde schon dunkel, der Übergang von der Sommer- zur Winterzeit verkürzte die Tage in Wirklichkeit. Es gab eine Klingel, er schellte. Das heißt, er hielt den Finger auf die Klingel gedrückt, denn er hatte nicht den leisesten Ton gehört. Er versuchte es noch einmal, bis er begriff, daß diese Klingel wohl schon seit der Erfindung der Elektrizität nicht mehr funktionierte. Also betätigte er den Türklopfer in Form eines Pferdekopfes und hörte beim drittenmal endlich schlurfende Schritte. Die Tür ging geräuschlos auf, man hörte keine Kette und keinen Riegel, nur einen langen Klageton wie von einer Seele im Fegefeuer.
»Sie war offen, Sie hätten nur drücken, reingehen und mich rufen müssen.«
Was da sprach, war ein Skelett. Noch nie in seinem Leben hatte Montalbano so einen dürren Menschen gesehen. Das heißt, gesehen schon, aber auf dem Totenbett, vertrocknet, von einer Krankheit ausgedörrt. Der hier stand noch auf beiden Beinen, wenn auch arg gekrümmt, und machte einen ganz lebendigen Eindruck. Er trug eine Soutane, die ursprünglich schwarz gewesen sein mußte und jetzt einen Stich ins Grüne hatte, der steife Kragen, einstmals weiß, war von einem speckigen Grau. Er trug genagelte Bauernschuhe, wie man sie schon lange nicht mehr bekam. Er war völlig kahl, und in seinem Totenschädelgesicht saß eine Goldrandbrille, als hätte man sie ihm zum Spaß aufgesetzt, mit dicken Gläsern, hinter denen der Blick verschwamm. Montalbano dachte, daß die beiden in der Grotte, die seit fünfzig Jahren tot waren, mehr Fleisch auf den Knochen hatten als dieser Pfarrer. Daß er uralt war, verstand sich von selbst.
Förmlich bat Maraventato ihn herein und führte ihn in einen riesigen Salon, der im wahrsten Sinne des Wortes vollgestopft war mit Büchern, die nicht nur in Regalen standen, sondern auch auf dem Boden in Stapeln, die bis an die hohe Decke reichten und wie durch ein Wunder das Gleichgewicht hielten. Durch die Fenster drang kein Licht ein, die Bücherstapel auf den Fensterbrettern verdeckten die Scheiben vollständig. An Möbeln gab es einen Schreibtisch, einen Stuhl und einen Sessel. Wenn Montalbano sich nicht irrte, war die Lampe auf dem Schreibtisch eine echte Petroleumlampe. Der alte Pfarrer räumte die Bücher vom Sessel und bedeutete Montalbano, sich zu setzen.
»Ich kann mir zwar nicht vorstellen, wie ich Ihnen behilflich sein kann, aber reden Sie nur.«
»Man hat Ihnen bestimmt gesagt, daß ich Commissario bin und...«
»Nein, man hat mir nichts gesagt, und ich habe auch nicht gefragt. Gestern ist am späten Abend jemand aus dem Dorf gekommen und hat mir gesagt, daß ein Typ aus Vigàta mich sprechen will, und ich habe geantwortet, daß er um halb sechs kommen soll. Wenn Sie Commissario sind, haben Sie Pech gehabt, Sie
Weitere Kostenlose Bücher