Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
verlieren nur Ihre Zeit.«
»Warum sollte ich meine Zeit verlieren?«
»Weil ich seit mindestens dreißig Jahren das Haus nicht mehr verlassen habe. Was soll ich da draußen? Die alten Gesichter sind verschwunden, und die neuen überzeugen mich nicht. Was ich brauche, wird mir jeden Tag gebracht, ich trinke sowieso nur Milch und einmal in der Woche Hühnerbrühe.«
»Sie wissen bestimmt aus dem Fernsehen...«
Kaum hatte Montalbano den Satz begonnen, unterbrach er sich auch schon, das Wort »Fernsehen« schien ihm fehl am Platz.
»In diesem Haus gibt es nicht mal elektrisches Licht.«
»Gut, aber Sie haben doch sicher in der Zeitung gelesen...«
»Ich kaufe keine Zeitungen.«
Warum nur stellte er sich dauernd selbst ein Bein? Montalbano holte tief Atem, machte einen neuen Anlauf und erzählte alles, von den Waffen bis zur Entdeckung der Toten im Crasticeddru.
»Warten Sie, ich mache Licht, da redet sich's besser.« Maraventato wühlte zwischen den Papieren auf dem Tisch, fand eine Schachtel Streichhölzer und zündete mit zittriger Hand eines an. Montalbano bekam eine Gänsehaut. Wenn er es fallen läßt, dachte er, brennen wir in drei Sekunden lichterloh.
Aber das Unternehmen glückte, und alles wurde schlimmer, weil die Lampe zwar den halben Tisch matt beleuchtete, dafür aber die Seite, an der der Alte saß, in tiefstes Dunkel tauchte. Montalbano staunte, als der Pfarrer eine Hand ausstreckte und nach einer kleinen Flasche mit einem merkwürdigen Verschluß griff. Auf dem Tisch standen drei weitere Flaschen, zwei waren leer, die dritte mit einer weißen Flüssigkeit gefüllt. Es waren keine richtigen Flaschen, es waren Babyfläschchen, alle mit Sauger. Montalbano fühlte sich merkwürdig unbehaglich, der Alte hatte angefangen zu nuckeln.
»Bitte entschuldigen Sie, ich habe keine Zähne.«
»Warum trinken Sie die Milch nicht aus einer Schale oder einer Tasse oder, was weiß ich, aus einem Becher?«
»Weil es so besser schmeckt. Es ist wie Pfeiferauchen.«
Montalbano beschloß, sobald wie möglich zu verschwinden, erhob sich, zog zwei Fotos aus der Tasche, die er sich von Jacomuzzi hatte geben lassen, und reichte sie dem Pfarrer.
»Könnte das ein Bestattungsritual sein?«
Da kam Leben in den Alten, der sich grunzend die Fotos ansah.
»Was war in der Schale?«
»Münzen aus den vierziger Jahren.«
»Und in dem Krug?«
»Nichts... Überhaupt nichts... Da kann nur Wasser drin gewesen sein.«
Gedankenverloren nuckelte der Alte eine Weile vor sich hin. Montalbano setzte sich wieder.
»Es ergibt keinen Sinn«, sagte der Pfarrer und legte die Fotos auf den Tisch.
Sechzehn
Montalbano war fix und fertig, der Kopf schwirrte ihm von den unzähligen Fragen des Pfarrers, und außerdem stieß Alcide Maraventato jedesmal, wenn er keine Antwort wußte, eine Art Klagelaut aus und schmatzte aus Protest noch lauter als vorher. Er hatte das zweite Fläschchen angesetzt.
In welche Richtung zeigten die Köpfe der Leichen?
War der Krug aus gewöhnlichem Ton oder aus einem anderen Material?
Wie viele Münzen lagen in der Schale?
Wie weit genau waren der Krug, die Schale und der Hund aus Terracotta jeweils von den beiden Toten entfernt?
Endlich war das Kreuzverhör vorbei. »Es ergibt keinen Sinn.«
Am Ende des Verhörs hatte sich bestätigt, was der Pfarrer gleich zu Anfang gesagt hatte. Mit einer gewissen Erleichterung, aus der er kein Hehl machte, glaubte der Commissario, aufstehen, sich verabschieden und gehen zu können.
»Warten Sie, warum so eilig?«
Resigniert setzte Montalbano sich wieder hin. »Ein Bestattungsritual ist es nicht, vielleicht ist es etwas anderes.«
Plötzlich fiel alle Müdigkeit von Montalbano ab, er kam aus seinem Tief heraus und war wieder im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte: Maraventato hatte also doch seinen Verstand beieinander.
»Sprechen Sie, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir Ihre Meinung dazu sagten.«
»Haben Sie Umberto Eco gelesen?«
Montalbano begann zu schwitzen.
Gesù, jetzt prüft er mich in Literatur, dachte er und druckste herum: »Ich habe seinen ersten Roman gelesen, auch Platon im Stripteaselokal und Wie man mit einem Lachs verreist, und ich finde beide...«
»Ich nicht, die Romane kenne ich nicht. Ich meinte die Einführung in die Semiotik, aus der uns einige Passagen hilfreich sein könnten.«
»Bedaure, das habe ich nicht gelesen.«
»Haben Sie auch Semeiotiké von der Kristeva nicht gelesen?«
»Nein, und ich habe auch überhaupt keine Lust,
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