Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
wahrer Name mehr geflüstert als ausgesprochen wurde und von dem kaum jemand wußte, wie er aussah, vor längerer Zeit ein paramilitärisches Grüppchen von Desperados gegründet hatte. Vor drei Jahren hatte er mit einer unmißverständlichen Visitenkarte die Bühne betreten: Er hatte einen kleinen Kinosaal in die Luft gejagt, in dem gerade ein französischer Zeichentrickfilm für Kinder lief. Das meiste Glück hatten noch die Toten gehabt: Zu Dutzenden waren die Zuschauer erblindet, verstümmelt oder für den Rest des Lebens entstellt worden. Der Nationalismus dieser Gruppe war, zumindest in den Zielen, fast abstrakt in seinem Absolutheitsanspruch. Selbst die verbohrtesten Fundamentalisten standen Moussa und seinen Leuten skeptisch gegenüber. Die Gruppe verfügte über nahezu unbegrenzte Geldmittel, deren Quelle nicht bekannt war. Die Regierung hatte eine hohe Prämie auf Ahmed Moussas Kopf ausgesetzt.
Das war alles, was Professor Rahman wußte, und die Vorstellung, dem Terroristen auch nur ein bißchen geholfen zu haben, verstörte ihn dermaßen, daß er zitterte und schwankte, als hätte er einen schweren Malariaanfall. »Aber er hat Sie doch getäuscht«, versuchte Montalbano ihn zu trösten.
»Wenn Sie Konsequenzen fürchten«, fügte Valente hinzu, »können wir bezeugen, daß Sie wirklich in gutem Glauben gehandelt haben.«
Rahman schüttelte den Kopf. Er erklärte, er empfinde keine Angst, sondern Grauen. Grauen deshalb, weil sich sein Leben, wenn auch nur für kurze Zeit, mit dem Leben eines eiskalten Kindermörders, eines Mörders unschuldiger Geschöpfe, gekreuzt habe.
Sie trösteten ihn, so gut sie konnten, und verabschiedeten ihn mit der Bitte, Stillschweigen über ihre Unterredung zu bewahren, auch gegenüber seinem Kollegen und Freund El Madani. Wenn sie ihn noch mal brauchten, würden sie ihn anrufen.
»Auch nachts, pas de probleme!« sagte der Lehrer, dem es jetzt schwerfiel, Italienisch zu sprechen.
Bevor sie damit begannen, all das, was sie erfahren hatten, zu besprechen, ließen sie sich einen Kaffee bringen, den sie langsam und schweigend tranken.
»Klar ist, daß der nicht angeheuert hat, um Erfahrungen zu sammeln«, fing Valente an.
»Und auch nicht, um sich abknallen zu lassen.«
»Ich bin ja gespannt, was uns der Kapitän des Fischkutters zu erzählen hat.«
»Willst du ihn kommen lassen?«
»Warum nicht?«
»Er wird nur wiederholen, was er Augello schon gesagt hat. Vielleicht sollten wir erst in Erfahrung bringen, was die Fischer reden. Hier und da ein Wort, dann sind wir vielleicht schon schlauer.«
»Ich schicke Tomasino.«
Montalbano verzog den Mund. Er konnte Valentes Vice nicht ausstehen, aber das war kein besonders stichhaltiger Grund, der dagegen sprach, und vor allem war es kein Grund, den er vorbringen konnte. »Paßt dir das nicht?«
»Mir? Dir muß es passen. Das sind deine Leute, und du kennst sie besser als ich.«
»Komm, Montalbano, sag schon, was los ist.«
»Na gut. Ich halte ihn für ungeeignet. Der wirkt doch wie ein Steuereintreiber, ich glaube nicht, daß ihm jemand was Vertrauliches mitteilt.«
»Du hast recht. Dann schicke ich Tripodi, der ist ein aufgeweckter, couragierter Junge, und sein Vater ist Fischer.«
»Dann müssen wir herausfinden, was genau in der Nacht passiert ist, als der Fischkutter auf das Patrouillenboot stieß. Wie man es auch dreht und wendet, immer paßt irgendwas nicht zusammen.«
»Was meinst du damit?«
»Lassen wir im Moment mal beiseite, wie er angeheuert hat, einverstanden? Ahmed geht in einer bestimmten Absicht an Bord, die wir nicht kennen. Jetzt frage ich mich: Hat er dem Kapitän und der Crew diese Absicht mitgeteilt oder nicht? Und hat er sie ihnen erst unterwegs oder schon vor der Abfahrt mitgeteilt? Ich weiß zwar nicht genau wann, aber meiner Meinung nach hat er sie über sein Vorhaben informiert, und alle waren einverstanden, sonst hätten sie kehrtgemacht und ihn wieder an Land gesetzt.«
»Er kann sie mit Waffengewalt gezwungen haben.«
»In diesem Fall hätten der Kapitän und die Crew nach ihrer Rückkehr nach Vigàta oder Mazàra erzählt, was passiert ist, sie hatten doch nichts zu befürchten.«
»Stimmt.«
»Also weiter. Wenn man davon ausgeht, daß Ahmed nicht die Absicht hatte, sich auf hoher See vor seinem Heimatland erschießen zu lassen, bleiben eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Die erste ist, daß er sich nachts an der Küste an einer einsamen Stelle absetzen lassen wollte, um heimlich in sein
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