Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
wartete auf die Spätnachrichten. Nicolò tat, was ihm aufgetragen worden war, und zeigte das Foto so lange wie möglich. Als die Nachrichten zu Ende waren, rief der Commissario ihn an, um sich zu bedanken.
»Tust du mir noch einen Gefallen?«
»Du kannst meine Dienste ja abonnieren. Was willst du denn?«
»Kannst du den Bericht morgen in den Dreizehn-Uhr-Nachrichten noch mal bringen? Ich fürchte, jetzt haben ihn nicht so viele Leute gesehen.«
»Zu Befehl.«
Er ging ins Schlafzimmer, löste Francois aus Livias Armen, hob ihn hoch, trug ihn ins Eßzimmer und legte ihn auf das Sofa, das Livia schon zurechtgemacht hatte. Dann duschte er und legte sich ins Bett. Im Schlaf spürte Livia ihn neben sich und schmiegte sich mit dem Rücken an ihn. Das mochte sie schon immer, im Halbschlaf, in diesem wohligen Niemandsland zwischen dem Land des Schlafes und der Stadt des Bewußtseins. Doch diesmal rückte sie, sobald Montalbano sie zu streicheln begann, von ihm ab. »Nein. Francois könnte aufwachen.« Einen Augenblick lang war Montalbano wie versteinert - diesen weiteren Aspekt familiärer Freuden hatte er noch gar nicht bedacht.
Er stand auf, seine Müdigkeit war verflogen. Vorhin, auf dem Heimweg nach Marinella, hatte er sich etwas überlegt. Das fiel ihm jetzt wieder ein.
»Valente? Hier ist Montalbano. Bitte entschuldige, daß ich dich so spät zu Hause störe. Ich muß dich ganz dringend sprechen. Kann ich morgen vormittag gegen zehn zu dir nach Mazàra kommen?«
»Natürlich. Worum…«
»Es ist eine verworrene, komplizierte Geschichte. Ich kann nur Vermutungen nachgehen. Es hat auch mit dem erschossenen Tunesier zu tun.«
»Ben Dhahab.«
»Siehst du, das ist schon mal Punkt eins: Er heißt nämlich Ahmed Moussa.«
»Scheiße.«
»Du sagst es.«
Elf
»Es ist nicht gesagt, daß es da eine Verbindung gibt«, meinte Vicequestore Valente, als Montalbano zu Ende berichtet hatte.
»Wenn das deine Meinung ist, dann tust du mir einen Riesengefallen. Jeder kümmert sich um seinen eigenen Kram: Du stellst fest, warum der Tunesier einen falschen Namen benutzt hat, und ich versuche herauszufinden, warum Lapecora umgebracht wurde und Karima verschwunden ist. Sollten wir uns dabei zufällig über den Weg laufen, tun wir so, als würden wir uns nicht kennen, kein Gruß, kein Wort. Einverstanden?«
»Was regst du dich denn gleich so auf?« Commissario Angelo Tomasino, ein Dreißigjähriger mit der Miene eines Bankangestellten, der fünfhunderttausend Lire zehnmal von Hand zählt, bevor er sie rausrückt, setzte noch eins drauf, als er für seinen Chef in die Bresche sprang.
»Das ist ja gar nicht gesagt, wissen Sie.«
»Was ist gar nicht gesagt?«
»Daß Ben Dhahab ein falscher Name ist. Es kann auch sein, daß er Ben Ahmed Dhahab Moussa heißt. Diese arabischen Namen kapiert doch kein Mensch.«
»Ich will nicht länger stören«, sagte Montalbano und erhob sich.
Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen. Valente, der ihn schon lange kannte, verstand ihn.
»Was sollen wir deiner Meinung nach tun?« fragte er einfach.
Der Commissario setzte sich wieder. »Zum Beispiel herausfinden, wer ihn hier in Mazàra kannte. Wie er auf dem Fischkutter angeheuert hat. Ob seine Papiere in Ordnung waren. Seine Unterkunft durchsuchen. Muß ich dir das erklären?«
»Nein«, sagte Valente. »Ich wollte es nur gern von dir hören.«
Er nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch und reichte es Montalbano. Es war ein Durchsuchungsbefehl für die Wohnung von Ben Dhahab, hübsch gestempelt und unterschrieben.
»Ich habe den Giudice heute früh um sieben aufgeweckt«, sagte Valente und grinste. »Gehst du mit spazieren?«
Signora Pipìa, Ernestina, verwitwete Locicero, legte Wert auf die Feststellung, daß sie nicht professionell Zimmer vermiete. Ihr verstorbener Gatte habe ihr eine ebenerdige Kammer hinterlassen, die früher einmal eine putìa di varbèri, ein Frisiersalon, gewesen sei. Man nenne das zwar so, aber es sei alles andere als ein Salon, die Signori würden selbst gleich sehen, und wozu überhaupt dieses Ding da, dieser Durchsuchungsbefehl? Sie hätten doch nur kommen und zu sagen brauchen: Signora Pipìa, so und so, und sie hätte keine Schwierigkeiten gemacht. Die mache nur, wer was zu verbergen habe, aber ihr Lebenswandel - und das könne jeder in Mazàra bezeugen, zumindest die, die keine Mistkerle oder Hurensöhne seien - sei immer ohne Fehl und Tadel gewesen und bleibe das auch weiterhin. Wie der arme Tunesier
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