Commissario Montalbano 03 - Der Dieb der süssen Dinge
seiner aufgeplatzten Lippe tropfte, war er zu einem solchen Häuflein Elend zusammengeschrumpft? Montalbano packte ihn am Revers, hob ihn hoch und setzte ihn auf einen Stuhl. Zitternd wischte sich Lohengrin Pera das Blut mit seiner bestickten Briefmarke ab, aber als er den roten Fleck auf dem Stoff sah, schloß er die Augen und schien in Ohnmacht zu fallen. »Ich… ich ekle mich vor Blut«, wisperte er. »Vor deinem eigenen oder dem der anderen?« erkundigte sich Montalbano.
Er ging in die Küche, holte eine halbvolle Flasche Whisky und ein Glas und stellte beides vor den Colonnello hin. »Ich trinke keinen Alkohol.«
Nach seinem Wutanfall war Montalbano jetzt deutlich ruhiger.
Wenn der Colonnello - überlegte er - telefoniert hätte, um Hilfe zu holen, dann waren die Leute, die ihm beistehen würden, bestimmt nicht weit, nur ein paar Autominuten vom Haus entfernt. Das war die eigentliche Gefahr. Da klingelte es an der Tür. »Dottore? Ich bin's, Fazio.« Er öffnete die Tür zur Hälfte.
»Hör zu, Fazio, mein Gespräch mit dieser Person, die ich erwähnt habe, ist noch nicht zu Ende. Bleib im Auto, wenn ich dich brauche, ruf ich dich. Aber gib acht - es kann sein, daß sich in der Nähe zwielichtige Gestalten herumtreiben. Nimm jeden fest, der sich dem Haus nähert.« Er schloß die Tür und setzte sich wieder vor Lohengrin Pera, der schwermütigen Gedanken nachzuhängen schien. »Versuch mich jetzt zu verstehen, denn demnächst verstehst du gar nichts mehr.«
»Was haben Sie mit mir vor?« fragte der Colonnello und wurde blaß.
»Nichts Blutiges, keine Sorge. Ich habe dich in der Hand, das hast du hoffentlich kapiert. Du warst so blöd, alles vor einer Videokamera auszuplaudern. Wenn ich das Band senden lasse, ist im internationalen Verbrechertum der Teufel los, und dann kannst du an irgendeiner Straßenecke Lollis verkaufen.
Aber wenn du Karimas Leichnam finden läßt und meine Beförderung stoppst - paß aber auf, daß beides gleichzeitig geschieht -, dann gebe ich dir mein Ehrenwort, daß ich das Band vernichten werde. Du mußt mir vertrauen. Hast du das alles begriffen?«
Lohengrin Pera nickte mit dem Köpfchen, und in diesem Augenblick sah der Commissario, daß das Messer vom Tisch verschwunden war. Der Colonnello mußte es an sich genommen haben, während er mit Fazio gesprochen hatte.
»Sag mal, gibt es deiner Meinung nach giftige Würmer?« fragte Montalbano. Pera sah in fragend an.
»Leg in deinem eigenen Interesse das Messer weg, das du unter dem Jackett hast.«
Der Colonnello gehorchte wortlos und legte das Messer auf den Tisch. Montalbano öffnete die Whiskyflasche, füllte das Glas randvoll und reichte es Lohengrin Pera, der angewidert das Gesicht verzog und sich abwandte. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich nicht trinke.«
»Trink.«
»Ich kann nicht, bitte.«
Montalbano drückte ihm mit zwei Fingern seiner linken Hand die Bäckchen zusammen und zwang ihn, sein Mündchen zu öffnen.
Fazio wartete schon seit einer Dreiviertelstunde im Wagen und war hundemüde, als er den Commissario rufen hörte. Er ging ins Haus und sah als erstes einen betrunkenen Zwerg, der sich aufs Hemd gekotzt hatte. Der Zwerg konnte nicht mehr gerade stehen, lehnte sich mal an einen Stuhl, mal an eine Wand und versuchte Celeste Aida zu singen.
Auf dem Boden sah Fazio eine Brille und ein Handy, beides zertrümmert; auf dem Tisch lagen neben einer leeren Whiskyflasche und einem ebenfalls leeren Glas drei oder vier Blatt Papier und Ausweise.
»Hör gut zu, Fazio«, sagte der Commissario. »Ich erzähle dir jetzt genau, was los war, falls man dir Fragen stellt. Als ich gestern gegen Mitternacht heimkam, habe ich am Anfang des Feldwegs, der hierherführt, das Auto dieses Signore da gefunden, einen BMW, der mir den Weg versperrt hat. Er war völlig betrunken. Ich habe ihn ins Haus gebracht, weil er nicht mehr in der Lage war zu fahren. Er hatte keine Papiere dabei, nichts. Ich habe alles mögliche gegen den Rausch unternommen und dann dich angerufen, damit du mir hilfst.«
»Alles klar«, sagte Fazio.
»Und jetzt nimmst du ihn - er wiegt ja nichts -, verstaust ihn in seinem BMW, setzt dich ans Steuer und steckst ihn in den Haftraum. Ich komme mit unserem Wagen nach.«
»Und wie kommen Sie dann wieder hierher?«
»Du bringst mich zurück, du schaffst das schon. Und morgen früh, sobald er wieder nüchtern ist, setzt du ihn auf freien Fuß.«
Als Montalbano wieder zu Hause ankam, nahm er die Pistole aus
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