Commissario Montalbano 04 - Die Stimme der Violine
Freundin verabschiedet hatte. Wenn es nicht Liebe oder Sex war, und nach Annas Meinung war diese Vermutung völlig ausgeschlossen, dann konnte es nur Geld sein. Michela musste während des Hausbaus mit Geld umgegangen sein, und zwar mit ziemlich viel. Lag hier vielleicht des Rätsels Lösung? Dieser Gedanke erschien ihm sofort unhaltbar, ein Spinnwebfaden. Doch es war seine Pflicht, dem trotzdem nachzugehen.
»Anna? Hier ist Salvo.«
»Ist dein Termin geplatzt? Kannst du doch kommen?«
Freude und Bangen lagen in der Stimme der jungen Frau, und der Commissario wollte nicht, dass sie dem Klang der Enttäuschung wichen.
»Es ist nicht gesagt, dass ich es nicht schaffe.«
»Zu jeder Zeit.«
»Einverstanden. Ich wollte dich was fragen. Weißt du, ob Michela ein Girokonto in Vigàta hatte?«
»Ja, das war bequemer, um die Rechnungen zu bezahlen.
Bei der Banca popolare. Ich weiß aber nicht, wie viel Geld sie dort hatte.«
Es war zu spät, um bei der Bank vorbeizuschauen. Er hatte alle Unterlagen, die er in dem Zimmer im Jolly gefunden hatte, in eine Schublade gelegt, darunter Dutzende von Rechnungen; diese und das Heftchen, in dem die Ausgaben verzeichnet waren, suchte er heraus. Das Notizbuch und die anderen Papiere legte er wieder zurück. Das würde eine langwierige und fade Beschäftigung werden und zu neunzig Prozent überhaupt nichts bringen. Außerdem stand er mit Zahlen auf Kriegsfuß.
Sorgfältig prüfte er alle Rechnungen. Er konnte zwar wenig damit anfangen, aber im Großen und Ganzen kamen sie ihm nicht überteuert vor, die aufgeführten Preise stimmten mit den Marktpreisen überein, manche waren sogar etwas niedriger. Michela hatte offensichtlich zu handeln verstanden und war sparsam gewesen. Nichts zu finden, er hatte ja gewusst, dass es für die Katz war. Dann stieß er zufällig auf eine Unstimmigkeit zwischen einer Rechnung und dem entsprechenden Eintrag, den Michela in dem Heftchen vorgenommen hatte: Hier war der Rechnungsbetrag um fünf Millionen Lire höher. War es möglich, dass Michela, die sonst so ordentlich und gewissenhaft war, einen so eklatanten Fehler gemacht hatte? Geduldig fing er noch mal von vorn an. Schließlich kam er zu dem Ergebnis, dass die Differenz zwischen den tatsächlich ausgegebenen und den in dem Heftchen verzeichneten Summen hundertfünfzehn Millionen betrug.
Ein Fehler war also ausgeschlossen, aber wenn kein Fehler vorlag, ergab das alles keinen Sinn, weil es bedeutete, dass Michela sich selbst pizzo zahlte. Außer …
»Pronto, Dottor Licalzi? Hier ist Commissario Montalbano.
Verzeihen Sie, wenn ich Sie nach einem langen Arbeitstag zu Hause anrufe.«
»Eh, sì. Er war ein harter Tag.«
»Ich wüsste gern etwas über Ihre Verhältnisse bezüglich - Also, ich meine, hatten Sie ein gemeinsames Konto, bei dem Sie beide zeichnungsberechtigt waren?«
»Commissario, war Ihnen der Fall -«
»- nicht entzogen worden? Ja, aber dann wurde alles wieder rückgängig gemacht.«
»Nein, wir hatten kein gemeinsames Konto. Michela hatte ihres, und ich habe meines.«
»Ihre Frau hatte keine eigenen Einkünfte, nicht wahr?«
»Nein, hatte sie nicht. Wir machten es so: Alle sechs Monate überwies ich eine bestimmte Summe von meinem auf das Konto meiner Frau. Wenn besondere Ausgaben anfielen, sagte sie es mir, und ich kümmerte mich darum.«
»Ich verstehe. Hat sie Ihnen jemals die Rechnungen im Zusammenhang mit dem Hausbau gezeigt?«
»Nein, das interessierte mich gar nicht. Aber sie übertrug die Summen, die sie im Lauf der Zeit ausgab, in ein kleines Heft. Ab und zu wollte sie, dass ich es mir ansehe.«
»Dottore, ich danke Ihnen und -«
»Haben Sie sich darum gekümmert?«
Worum hätte er sich denn kümmern müssen? Er wusste nicht, was er antworten sollte.
»Um den Twingo«, half der Dottore nach.
»Ach ja, das habe ich erledigt.«
Am Telefon konnte er leicht lügen. Sie sagten auf Wiedersehen und verabredeten sich für Freitagvormittag auf der Trauerfeier.
Jetzt ergab alles einen Sinn. Die Signora erhob pizzo auf das Geld, um das sie ihren Mann für den Bau der Villa bat.
Nach Vernichtung der Rechnungen (für die Michela bestimmt gesorgt hätte, wenn sie am Leben geblieben wäre) wären als Nachweis nur die in das kleine Heft übertragenen Summen geblieben. Auf diese Weise hatten sich hundertfünfzehn Millionen schwarzes Geld angesammelt, über das Signora Licalzi nach Belieben verfügt hatte.
Aber wozu brauchte sie das Geld? Wurde sie erpresst? Und wenn ja,
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