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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Geduld. Er wusste weder, warum diese alte Geschichte den Questore interessierte, noch aus welcher Richtung der unvermeidliche Schlag kommen würde.
    »Da bleibt alles in der Familie, was?« In Bonetti-Alderighis hämischem Ton klang eine ebenso deutliche wie unerklärliche Unterstellung mit. Was fiel diesem Trottel eigentlich ein?
    »Hören Sie zu, Signor Questore. Anscheinend haben Sie sich ein genaues Bild von einer Angelegenheit gemacht, die ich schon fast vergessen hatte. Jedenfalls bitte ich Sie, sich gut zu überlegen, was Sie mir sagen wollen.«
    »Unterstehen Sie sich, mir zu drohen!«, schrie Bonetti-Alderighi hysterisch und schlug mit der Hand auf den Tisch, dass es krack machte. »Und jetzt reden Sie: Wo steckt das Sparbuch?«
    »Welches Sparbuch?«
    Er konnte sich wirklich an kein Sparbuch erinnern. »Spielen Sie doch nicht den Ahnungslosen, Montalbano!« Bei diesen Worten, »Spielen Sie doch nicht den Ahnungs­losen«, rastete der Commissario aus. Er hasste Plattitüden und sprachliche Klischees, sie brachten ihn zur Weißglut. Diesmal schlug er mit der Hand auf den Tisch, dass es krack, krack machte.
    »Von welchem Scheißsparbuch faseln Sie da?«
    »Oho!«, höhnte der Questore. »Wir haben wohl was auf dem Kerbholz, was, Montalbano?«
    Er wusste, wenn auf den Ahnungslosen und das Kerbholz noch ein Satz von dieser Sorte folgte, würde er Bonetti-Alderighi am Hals packen und zudrücken, bis er erstickte. Wie durch ein Wunder schaffte er es, nicht zu reagieren, keinen Ton zu sagen.
    »Bevor wir auf das Sparbuch eingehen«, fuhr der Questore fort, »sprechen wir von dem Kind, dem Sohn der Prostitu­ierten. Ohne jemanden zu informieren, haben Sie dieses Waisenkind zu sich nach Hause genommen. Das ist Ent­führung eines Minderjährigen, Montalbano! Wir haben ein Gericht, wussten Sie das? Es gibt eigens Jugendrichter, wussten Sie das? Sie hätten das Gesetz befolgen müssen, statt es zu umgehen! Wir sind schließlich nicht im Wil­den Westen!«
    Erschöpft machte er eine Pause. Montalbano sagte kein Wort.
    »Und nicht nur das! Diese Heldentat ist Ihnen nicht genug, Sie schenken das Kind auch noch der Schwester Ihres Stell­vertreters, als wäre es irgendein Gegenstand! Wie herzlos! Eine Angelegenheit für das Strafgesetzbuch! Doch zu die­sem Aspekt der Geschichte später. Es kommt noch schlim­mer. Die Prostituierte besaß ein Sparbuch über eine halbe Milliarde Lire. Dieses Sparbuch ist irgendwann in Ihre Hände gelangt. Und dann ist es verschwunden! Wo steckt es? Haben Sie das Geld mit ihrem Freund und Komplizen Domenico Augello geteilt?«
    Sehr langsam legte Montalbano die Hände auf den Schreib­ tisch, sehr langsam beugte er den Oberkörper nach vorn, sehr langsam schob sich sein Kopf in den Lichtkegel der Lampe. Bonetti-Alderighi erschrak. Montalbanos zur Hälfte beleuchtetes Gesicht sah ganz genauso aus wie eine dieser afrikanischen Masken, die man aufsetzt, wenn Menschenopfer dargebracht werden. Und so weit war Si­zilien von Afrika ja nicht entfernt, fuhr es dem schreckens­starren Questore durch den Kopf. Der Commissario sah Bonetti-Alderighi fest an, und dann sprach er, sehr lang­sam und sehr leise.
    »Ich sage es dir von Mann zu Mann. Lass das Kind aus dem Spiel, lass es raus aus der Geschichte. Kapiert? Augellos Schwester und ihr Mann haben es ordnungsgemäß adop­tiert. Lass es aus dem Spiel. Für deine private Rache, deine eigene Scheiße reiche ich. Einverstanden?« Der Questore antwortete nicht, vor Schreck und Wut brachte er kein Wort heraus. »Einverstanden?«, fragte Montalbano noch mal. Und je leiser, ruhiger, langsamer diese Stimme wurde, umso stärker spürte Bonetti-Alderighi die mühsam be­herrschte Gewalt.
    »Einverstanden«, sagte er schließlich mit dünner Stimme. Montalbano richtete sich wieder auf, sein Gesicht ver­schwand aus dem Lichtkegel.
    »Darf ich fragen, Signor Questore, woher Sie all diese In­formationen haben?«
    Montalbanos mit einem Mal veränderter Ton, förmlich und leicht unterwürfig, erstaunte den Questore dermaßen, dass er sagte, was er ursprünglich nicht hatte sagen wollen.
    »Man hat mir geschrieben.«
    Montalbano begriff sofort.
    »Einen anonymen Brief, stimmt's?«
    »Na ja, sagen wir, nicht unterzeichnet.«
    »Und Sie schämen sich nicht?«, fragte der Commissario, während er sich umdrehte und zur Tür ging, taub für das Geschrei des Questore.
    »Montalbano, kommen Sie zurück!«
    Er war kein Hund, der auf Befehl gehorchte. Wütend riss er sich

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