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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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den überflüssigen Verband vom Kopf. Im Flur stieß er mit Dottor Lattes zusammen. Lattes stotterte:
    »I … i … ich g … g … g … glaube, der Herr Polizeipräsident ruft Sie.«
    »Klingt fast so.«
    In diesem Augenblick sah Lattes, dass Montalbano keinen Verband mehr trug und seine Stirn unversehrt war. »Schon verheilt?!«
    »Wussten Sie nicht, dass der Questore ein Wundertäter ist?«
    Das Beste an der ganzen Geschichte - dachte er, die Hände um das Lenkrad gekrampft, während der Fahrt nach Mari­nella - war, dass er gar keine Wut auf den Verfasser des anonymen Briefes hatte; das war sicher eine späte Rache von Lohengrin Pera, der als Einziger die Geschichte von Francois und seiner Mutter rekonstruieren konnte. Und er war auch auf den Questore nicht wütend. Auf sich selbst hatte er einen Zorn. Wie hatte er das Sparbuch mit den fünfhundert Millionen nur so vollkommen vergessen kön­nen? Er hatte es einem befreundeten Notar überlassen, daran erinnerte er sich genau, der das Geld verwalten und an Francois auszahlen sollte, wenn dieser volljährig war. Er erinnerte sich, dies allerdings nur vage, dass ihm der Notar etwa zehn Tage nach seinem Besuch eine Empfangs­bestätigung geschickt hatte. Aber er wusste nicht mehr, wo er sie hingetan hatte. Am schlimmsten war, dass er von diesem Sparbuch weder Mimi Augello noch der Schwester je ein Wort gesagt hatte. Und so konnte Mimi, der keine Ahnung von der Geschichte hatte, von Bonetti-Alderighis gesegneter Fantasie ins Spiel gebracht werden, dabei war er unschuldig wie Jesus.
    Innerhalb einer knappen Stunde sah es bei ihm aus, als hät­ten routinierte Einbrecher gewissenhaft das Haus durch­sucht. Sämtliche Schubladen des Schreibtisches waren herausgezogen und die Unterlagen, die sich darin befan­den, auf den Boden geworfen, ebenfalls auf dem Boden lagen die Bücher, halb aufgeschlagen, durchwühlt und misshandelt. Im Schlafzimmer standen die beiden Nacht­kästchen weit offen, ebenso der Schrank und die Kom­mode, die Wäsche war über Bett und Stühle verteilt. Montalbano suchte fieberhaft, und allmählich wurde ihm klar, dass er das, was er suchte, nie und nimmer finden würde. Als er die Hoffnung gerade aufgegeben hatte, ent­deckte er in der untersten Schublade der Kommode in einer Schachtel - zusammen mit einem Foto seiner Mut­ter, die gestorben war, bevor er ihr Bild zu Lebzeiten im Gedächtnis hätte behalten können, zusammen mit einem Foto des Vaters und ein paar seiner seltenen Briefe - das Kuvert, das ihm der Notar geschickt hatte, er öffnete es, zog das Dokument heraus, las es, las es noch mal, verließ das Haus und setzte sich ins Auto. In einem der ersten Häu­ser von Vigàta gab es, so erinnerte er sich, einen tabaccavo mit Fotokopiergerät, er kopierte das Blatt, setzte sich wie­der ins Auto, fuhr zurück nach Marinella, erschrak selbst vor dem Chaos, das er im Haus angerichtet hatte, suchte fluchend ein Blatt Papier und einen Umschlag, wurde fün­dig, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb:
    Verehrter Signor Questore von Vigàta, da Sie dazu neigen, anonymen Briefen Beachtung zu schenken, werde ich diesen Brief nicht unterzeichnen. Ich lege die Kopie der Empfangsbestätigung von Notar Giulio Carlentini bei, die die Position von Commis­sario Dott. Salvo Montalbano klärt. Das Original ver­ bleibt selbstverständlich im Besitz des Verfassers dieses Schreibens und kann auf Anfrage vorgelegt werden, gez.: ein Freund
    Er setzte sich wieder ins Auto, fuhr zur Post, gab den Brief per Einschreiben mit Rückschein auf, ging hinaus, beugte sich vor, um die Autotür zu öffnen, und verharrte gelähmt in dieser Stellung, als wäre ihm ein heftiger Schmerz in den Rücken gefahren, so ein Schmerz, der sich bei der ge­ringsten Bewegung zu einem Dolchstich auswächst, und dann kann man nur so bleiben, wie man gerade ist, und hoffen, dass irgendein Wunder das Übel, wenigstens vo­rübergehend, verschwinden lassen möge. Was den Com­missario so geschockt hatte, war der Anblick einer Frau, die gerade vorbeiging, anscheinend auf dem Weg in die nahe Metzgerei. Es war Signorina Mariastella Cosentino, die Vestalin aus Ragionier Garganos Tempel, die nach der nachmittäglichen Bürozeit die Agentur geschlossen hatte und jetzt einkaufte, bevor sie nach Hause fuhr. Beim An­blick von Mariastella Cosentino war ihm ein entsetzlicher Gedanke gekommen, gefolgt von einer noch entsetzliche­ren Frage: Der Notar hatte doch nicht etwa versehentlich Francois'

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