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Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde

Titel: Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Abzweigung, und als er gerade beschlossen hatte, zurückzufahren und wieder in der Trat­toria »San Calogero« einzukehren, auch weil sein Hunger mit der Zeit immer ärger nagte, sah er im Scheinwerferlicht den Wegweiser zu dem Lokal, ein handbeschriebenes klei­nes Brett, das an einem Strommast befestigt war. Nach fünf Minuten auf einem echten Viehsteig, wie es sie gar nicht mehr gibt, voller Schlaglöcher und großer Steine, kam er an, und einen Moment lang argwöhnte er eine Inszenie­rung von Giugiù, der sich als Fuhrmann ausgab und in Wahrheit Rennfahrer war. Bei dieser Anwandlung von Arg­ wohn überzeugte ihn auch das einsame kleine Haus nicht: schlecht verputzt und ohne Neonlampen, ein Zimmer im Erdgeschoss und ein Zimmer im ersten und einzigen Stock­werk. Durch die beiden Fenster im Erdgeschoss drang ein blasses Licht, das melancholisch stimmte. Bestimmt der In­szenierung letzter Schliff. Auf dem Vorplatz standen zwei Autos. Er stieg aus und blieb unschlüssig stehen. Er hatte keine Lust, den Abend vergiftet zu beschließen. Er ver­suchte sich zu erinnern, wer ihm das Lokal empfohlen hatte, und dann fiel es ihm ein: Vicecommissario Lindt, Sohn Schweizer Eltern (»Mit der Schokolade verwandt?«, hatte er gefragt, als man ihn mit ihm bekannt machte), der bis vor einem halben Jahr in Bozen gearbeitet hatte. »Ist ja klar«, sagte er zu sich. »Der kann wahrscheinlich ein Huhn nicht von einem Lachs unterscheiden.« Und in diesem Augenblick wehte ihn mit dem leisen Abendwind ganz sacht ein Duft an, der seine Nasenlöcher weitete: der Duft einer unverfälschten und wohlschme­ckenden Küche, der Duft von Gerichten, die nach den gött­lichen Regeln der Kunst zubereitet wurden. Es gab kein Halten mehr, er öffnete die Tür und trat ein. In dem Raum standen acht Tische, und nur an einem saß ein Paar mitt­leren Alters. Er setzte sich an den erstbesten Tisch. »Mi scusasse, aber der ist reserviert«, sagte der Wirt und Kellner, ein Typ um die sechzig, kahlköpfig, dafür mit Fahrradlenkerschnauzbart, groß und dick.
    Folgsam stand der Commissario wieder auf. Er wollte seine vier Buchstaben gerade auf einem Stuhl am Neben­tisch platzieren, als der Schnauzbart wieder sprach: »Der auch.«
    Montalbano wurde langsam ärgerlich. Nahm der ihn auf den Arm? Wollte er einen Streit vom Zaun brechen? Wollte er sich mit ihm anlegen?
    »Die sind alle reserviert. Wenn Sie wollen, kann ich hier decken«, sagte der Wirt und Kellner, als er sah, dass der Gast finster dreinblickte.
    Er zeigte auf einen Abstelltisch, auf dem sich Besteck, Glä­ser und Teller stapelten, direkt neben der Tür zur Küche, aus der jener Duft strömte, der einen schon sättigt, bevor man zu essen angefangen hat. »Sehr gern«, sagte der Commissario. Er saß da, als hätte man ihn in die Ecke gestellt, mit dem Gesicht praktisch an der Wand; um die Wirtsstube sehen zu können, hätte er sich schräg auf den Stuhl setzen und den Hals verrenken müssen. Aber was interessierte ihn schon die Wirtsstube?
    »Ich hätte pirciati ch'abbruscianu, wenn Ihnen danach ist«, sagte der Schnauzbart.
    Er wusste, was pirciati waren, eine bestimmte Sorte Pasta, aber wieso abbruscianu, was verbrannte da? Doch er wollte dem anderen nicht die Genugtuung verschaffen, ihm zu erklären, wie pirciati zubereitet wurden. So fragte er nur:
    »Was heißt >wenn mir danach ist    »Eben wenn Ihnen danach ist«, lautete die Antwort. »Mir ist danach, keine Sorge, mir ist danach.« Der Wirt zuckte mit den Achseln, verschwand in die Küche, tauchte nach einer Weile wieder auf, stellte sich hin und blickte den Commissario an. Er wurde von dem Paar gerufen, das die Rechnung verlangte. Der Schnauz­bart stellte sie aus, die beiden zahlten und gingen grußlos hinaus.
    Grüßen scheint hier nicht üblich zu sein, dachte Montalbano, und es fiel ihm ein, dass auch er, als er eingetreten war, niemanden gegrüßt hatte.
    Der Schnauzbart kehrte aus der Küche zurück und stellte sich genauso hin wie vorher.
    »Fünf Minuten noch«, sagte er. »Wollen Sie fernsehen, so­lange Sie warten?«
    »Nein.«
    Schließlich hörte man die Stimme einer Frau in der Küche.
    »Giugiu!«
    Und die pirciati kamen. Sie dufteten nach Paradies auf Erden. Der Schnauzbart lehnte sich bequem an den Tür­rahmen, als gäbe es gleich etwas zu sehen. Montalbano wollte den Duft tief in seine Lungen strömen lassen.
    Während er gierig einatmete, sagte der andere:
    »Wollen Sie eine Flasche Wein griffbereit haben,

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