Commissario Montalbano 06 - Der Kavalier der späten Stunde
Sie zu, Dottore. Ich bitte Sie um etwas, auf meine Verantwortung. Signorina Mariastella, und stellen Sie mir jetzt keine Fragen, muss ein paar Stunden lang tief schlafen.« Er legte auf und atmete drei- oder viermal tief durch. »Er kommt gleich«, sagte er, als er wieder in den Salon ging und dabei so normal wie möglich auszusehen versuchte. »Tut es so weh?«
»Ja.«
Als er die Geschichte später erzählte, konnte sich der Commissario nicht erinnern, was sie sonst noch gesprochen hatten. Vielleicht hatten sie geschwiegen. Als er ein Auto kommen hörte, stand Montalbano auf und öffnete die Haustür.
»Ich bitte Sie, Dottore, behandeln Sie sie, tun Sie, was Sie für richtig halten, aber versetzen Sie sie vor allem in Tiefschlaf. Im Interesse der Signorina.«
Der Dottore blickte ihm lange in die Augen und fragte am Ende nichts.
Montalbano blieb draußen, er steckte sich eine Zigarette an, ging vor dem Haus auf und ab. Es dämmerte. Er musste an Professore Tommasino denken. Wonach roch die Nacht? Er atmete tief ein. Sie roch nach fauligem Obst, nach Dingen, die sich zersetzten.
Der Dottore kam eine halbe Stunde später aus dem Haus. »Sie hat sich nichts gebrochen, zwei böse Quetschungen, eine an der Schulter, die ich verbunden habe, und eine an der Hüfte. Ich habe sie überredet, sich ins Bett zu legen, und das getan, was Sie wollten, sie schläft schon, es wird ein paar Stunden anhalten.«
»Danke, Dottor La Spina. Und für Ihre Bemühungen möchte ich…«
»Schon gut, ich behandle Mariastella seit ihren Kindertagen. Aber ich möchte sie nicht allein lassen, ich würde gern eine Krankenschwester rufen.«
»Ich bleibe hier, machen Sie sich keine Sorgen.« Sie verabschiedeten sich voneinander. Der Commissario wartete, bis das Auto verschwunden war, ging ins Haus und schloss die Tür ab. Jetzt kam das schwierigste Kapitel, er musste aus freien Stücken in den Alptraum der Erzählung zurückkehren, selbst wieder zu einer Figur darin werden. Er blickte in Mariastellas Schlafzimmer, sie schlief in ihrem Bett, Grabeshauch… über den Bettvorhängen in verblichenem Rosenrot, über den rosig abgeschirmten Lämpchen, auf dem Frisiertisch, auf dem elegant angeordneten Kristall und den Toilettengegenständen… Aber es war kein unbeschwerter Schlaf, ihre langen eisengrauen Haare schienen auf dem Kissen immerzu in Bewegung. Schließlich öffnete er die andere Tür, schaltete den Kronleuchter an und betrat das Zimmer. Das Paket auf dem Bett schimmerte von den Lichtreflexen auf der Plastikfolie. Er trat näher und beugte sich darüber. Emanuele Garganos Unterhemd war auf Höhe des Herzens versengt, die Eintrittsöffnung war deutlich zu sehen. Er hatte nicht Selbstmord begangen, die Pistole lag ordentlich auf dem anderen Nachtkästchen. Mariastella hatte ihn im Schlaf getötet. Auf dem Nachtkästchen neben dem Toten lagen eine Brieftasche und eine Rolex. Am Boden befand sich, neben dem Bett, ein geöffneter Aktenkoffer mit Computerdisketten und Unterlagen. Pellegrinos Aktenkoffer. Jetzt musste er wirklich zum Ende der Erzählung kommen. Sah man auf dem zweiten Kissen den Abdruck eines Kopfes? Lag auf dem zweiten Kissen ein langes eisengraues Haar? Er zwang sich hinzusehen. Auf dem zweiten Kissen war kein Abdruck, kein eisengraues Haar.
Erleichtert atmete er auf. Wenigstens das war ihm erspart geblieben. Er löschte das Licht, ging hinaus, schloss die Tür, kehrte in Mariastellas Schlafzimmer zurück, holte einen Stuhl und setzte sich neben sie. Jemand hatte ihm einmal gesagt, künstlich herbeigeführter Schlaf sei traumlos. Warum lag dieser arme Körper dann immer wieder quer und zuckte heftig wie unter einem starken Stromschlag? Und derselbe Jemand hatte ihm erklärt, im Schlaf könne man nicht wirklich weinen. Warum quollen dann große Tränen unter den Augenlidern der Frau hervor? Was wusste man schon, was wussten auch Wissenschaftler, was im geheimnisvollen, unergründlichen, unerzählbaren Land des Schlafes geschehen konnte. Er nahm ihre Hand in seine Hände. Sie glühte. Er hatte Gargano überschätzt, der war nur ein Betrüger, den Mord an Giacomo hatte er nicht ertragen. Er hatte das Auto ins Meer gestürzt, den Aktenkoffer an sich genommen und daraufhin eiligst an Mariastellas Tür geklopft, er wusste, dass die Frau niemals geredet, ihn niemals verraten hätte. Und Mariastella hatte ihn empfangen, getröstet, ihm Unterschlupf gewährt. Dann hatte sie dafür gesorgt, dass
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