Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
dieser Schritte würde uns vieles klar werden.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Ich fasse noch mal zusammen: Die Täter wussten von Anfang an, dass die Mistrettas nicht in der Lage sein würden, das Lösegeld zu zahlen, und trotzdem haben sie das Mädchen entführt. Warum? Weil sie wussten, dass die Mistrettas, wenn es hart auf hart kommt, eine hohe Summe auftreiben können. So weit einverstanden?«
»Ja.«
»Aber nicht nur die Täter wissen von dieser Möglichkeit.«
»Ach nein?«
»Nein.«
»Und woher weißt du das?«
»Fazio hat mir von zwei merkwürdigen Anrufen berichtet. Lass sie dir von ihm vorspielen.«
»Und warum hat er mir nichts davon gesagt?«
»Er wird’s vergessen haben«, log Montalbano.
»Was müsste ich denn jetzt konkret tun?«
»Hast du den Staatsanwalt über den Anruf informiert?«
»Noch nicht. Mache ich aber sofort.«
Er wollte den Hörer abnehmen.
»Warte. Jetzt, wo die Täter eine präzise Forderung gestellt haben, müsstest du ihm vorschlagen, das Vermögen der Mistrettas zu beschlagnahmen und sofort die Medien darüber zu informieren.«
»Und was soll uns das bringen? Die Mistrettas haben keine Lira, das weiß doch jedes Kind. Es wäre ein rein formeller Akt.«
»Klar. Er wäre rein formell, wenn die Sache zwischen dir, mir, dem Staatsanwalt und den Mistrettas bliebe. Aber ich habe ja gesagt, dass die Maßnahme bekannt werden muss. Mag sein, dass die öffentliche Meinung manche Leute einen Scheißdreck interessiert, zählen tut sie doch. Und die Öffentlichkeit wird sich bald fragen, ob die Mistrettas tatsächlich wissen, wie sie das Geld auftreiben können, und wenn ja, warum sie nicht alles tun, um daran zu kommen. Möglicherweise sehen sich die Täter gezwungen, den Mistrettas zu sagen, was sie tun müssen. Irgendwas käme am Ende schon ans Licht. Die ganze Sache sieht mir nicht nach einer simplen Erpressung aus.«
»Was ist es dann?«
»Ich weiß es nicht. Irgendwie ist es wie beim Billard, wenn man die Kugel an die eine Bande stößt, damit sie auf der entgegengesetzten Seite landet.«
»Weißt du was? Sobald es Susannas Vater ein bisschen besser geht, knöpfe ich ihn mir vor.«
»Tu das. Aber vergiss nicht, dass der Staatsanwalt auch dann wie besprochen vorgehen müsste, wenn wir in fünf Minuten die Wahrheit von den Mistrettas erfahren würden. Wenn du nichts dagegen hast, rede ich mit dem Doktor, sobald er runterkommt. Ich war bei ihm zu Hause, als Fazio anrief. Wir hatten ein interessantes Gespräch, das sich fortzusetzen lohnt.«
Da betrat Carlo Mistretta den Salon.
»Haben die wirklich sechs Milliarden gefordert?«
»Ja«, sagte Montalbano.
»Das arme Mädchen!«, rief der Doktor.
»Kommen Sie doch mit raus an die frische Luft«, schlug Montalbano vor.
Der Doktor folgte ihm wie in Trance. Sie setzten sich auf eine Bank. Fazio verzog sich rasch ins Haus. Montalbano wollte etwas sagen, aber der Doktor kam ihm wieder mal zuvor.
»Der Anruf, von dem mein Bruder erzählt hat, passt zu unserem Gespräch von vorhin.«
»Das glaube ich gern«, sagte der Commissario. »Sie müssten deshalb, wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
»Es macht mir nichts aus. Wo waren wir stehen geblieben?«
»Ihr Bruder und seine Frau sind nach Uruguay ausgewandert.«
»Ah ja. Es war noch kein Jahr vergangen, da schrieb Giulia Antonio einen langen Brief. Sie schlug ihm vor, ebenfalls nach Uruguay zu kommen, in dem Land tue sich was, es böte ausgezeichnete berufliche Chancen, Salvatore genieße bei wichtigen Leuten hohes Ansehen und könne ihm helfen … Ich habe vergessen zu sagen, dass Antonio Ingenieurwesen studiert hat, er hat Brücken, Viadukte, Straßen gebaut. Wie dem auch sei, er nahm die Einladung an. In der ersten Zeit unterstützte meine Schwägerin ihn, wo sie nur konnte. Fünf Jahre blieb er in Uruguay. Sie hatten in Montevideo sogar zwei Wohnungen im selben Haus gekauft, um einander nah zu sein. Salvatore war manchmal monatelang beruflich unterwegs, und da war es beruhigend für ihn zu wissen, dass seine Frau nicht allein war. Kurzum, Antonio hat es in jenen fünf Jahren zu etwas gebracht. Weniger als Ingenieur, erzählte später mein Bruder, sondern weil er die zahlreichen Freihandelszonen dort geschickt ausnutzte – eine mehr oder weniger legale Art, Steuern zu hinterziehen.«
»Warum ist er weggegangen?«
»Er sagte, er hätte Heimweh nach Sizilien und hielte es nicht mehr aus. Mit seinem vielen Geld könne er sich selbständig machen. Allerdings
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