Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
mehr zu rauchen, wenn auf jeder Zigarettenpackung »Rauchen verursacht Krebs« oder so was steht. Da geben sogar die Verbrecher das Rauchen auf, und dem armen Polizisten fehlen wichtige Beweisstücke. Vielleicht sollte er mal eine Eingabe an den Gesundheitsminister schreiben.
Montalbano inspizierte auch die andere Seite der Brücke. Ohne Ergebnis. Er ging wieder zurück und legte sich auf den Bauch. Die Stirn gegen das Gitter gedrückt, blickte er hinunter. Fast senkrecht unter sich sah er eine Steinplatte, die einen Gully abdeckte. Bestimmt waren die Erpresser, als sich Peruzzos Auto näherte, auf die Brücke gegangen und hatten es wie er gemacht und sich hingelegt. Von da hatten sie im Scheinwerferlicht beobachtet, wie Peruzzo die Abdeckung anhob, den Koffer in den Gully steckte und wieder wegfuhr. So musste es gewesen sein. Doch Montalbano war umsonst hergekommen: Die Täter hatten keine Spuren hinterlassen.
Er verließ die Brücke und kletterte nach unten. Er untersuchte die Platte, die den Gully verschloss. Der erschien ihm nicht groß genug, um einen Koffer aufzunehmen. Montalbano rechnete rasch: Sechs Milliarden Lire entsprachen etwa drei Komma eins Millionen Euro. Wenn ein Notenbündel aus hundert Fünfhunderterscheinen bestand, kam man im Ganzen nur auf zweiundsechzig Bündel. Es war also kein großer Koffer nötig gewesen, im Gegenteil. Die Platte hatte einen Eisenring, man konnte sie anheben. Montalbano steckte einen Finger durch den Ring und zog. Die Platte ließ sich beiseite ziehen. Montalbano traute seinen Augen nicht, als er in den Gully blickte. Da lag eine große Tasche, und sie schien nicht leer zu sein. War Peruzzos Geld etwa noch da? War es möglich, dass die Täter es noch nicht geholt hatten? Aber warum hatten sie Susanna dann freigelassen?
Montalbano kniete sich hin, langte in den Gully, packte die Tasche, die ziemlich schwer wog, zog sie heraus und legte sie auf den Boden. Er holte tief Luft und öffnete die Tasche. Sie war mit Bündeln voll gestopft. Nicht mit Notenbündeln, sondern mit zerschnittenen alten Illustrierten.
Vierzehn
Er war so überrascht, dass er auf den Hosenboden fiel. Mit vor Staunen offenem Mund fragte er sich, was dieser Fund zu bedeuten hatte. Warum hatte Peruzzo die Tasche nicht mit Euroscheinen, sondern mit Altpapier gefüllt? Montalbano wusste nur wenig über ihn und überlegte, ob Peruzzo, wenn es um das Leben seiner Nichte ging, ein solches Vabanquespiel zuzutrauen war. Er dachte eine Weile darüber nach und kam zu dem Schluss, dass Peruzzo noch zu ganz anderen Dingen fähig war. Doch wie sollte man sich dann das Vorgehen der Entführer erklären? Eigentlich blieben da nur zwei Möglichkeiten: Entweder hatten die Entführer die Tasche an Ort und Stelle geöffnet, den Betrug bemerkt und Susanna trotzdem freigelassen, oder sie waren in die Falle getappt, das heißt, sie hatten gesehen, wie Peruzzo die Tasche in den Gully legte, und einfach darauf vertraut, dass alles seine Richtigkeit hatte, und dann Anweisung gegeben, Susanna freizulassen.
Oder wusste Peruzzo vielleicht irgendwoher, dass die Täter die Tasche nicht gleich würden öffnen können, und hatte auf seinen Zeitvorsprung gesetzt? Ach was, das war doch an den Haaren herbeigezogen. Kein Mensch konnte die Täter daran hindern, den Gully zu öffnen, wann immer es ihnen passte. Die Lösegeldübergabe bedeutete nicht notwendigerweise Susannas sofortige Freilassung, von welchem »Zeitvorsprung« hätte Peruzzo also profitieren sollen? Von gar keinem. Wie Montalbano es auch drehte und wendete, der Trick ergab keinen Sinn.
Während er benommen dasaß und die Fragen wie aus einer Maschinenpistole durch sein Gehirn ratterten, vernahm er ein seltsames Glöckchengeklingel, das er nicht orten konnte. Er glaubte schon, dass es von einer sich nähernden Schafherde stammte. Doch das Gebimmel wurde nicht lauter. Da begriff er, dass sein Handy klingelte, das er nie benutzte und nur ausnahmsweise eingesteckt hatte.
»Sind Sie das, Dottore? Hier ist Fazio.«
»Was gibt’s?«
»Ich soll Ihnen von Dottor Minutolo etwas ausrichten, was vor drei oder vier Stunden passiert ist. Ich habe Sie überall zu erreichen versucht, im Kommissariat und zu Hause, und dann ist Catarella endlich eingefallen, dass Sie …«
»Schon gut. Worum geht es denn?«
»Dottor Minutolo hat sich bei Avvocato Luna nach Peruzzo erkundigt. Luna hat gesagt, Peruzzo hätte heute Nacht das Lösegeld gezahlt, und er hat ihm auch erklärt, wo er das
Weitere Kostenlose Bücher