Commissario Montalbano 09 - Die dunkle Wahrheit des Mondes
Sie sich beschäftigen.«
»In Ordnung. Wenn sie eintreffen, ruf mich.« Er hörte, dass Michela aus dem Arbeitszimmer kam und sich ins Badezimmer zwischen den zwei Schlafzimmern einschloss. Zehn Minuten später hörte er sie kommen. Sie hatte sich gewaschen und einen Damenmorgenmantel angezogen. Michela bemerkte Montalbanos Blick. »Der gehört mir«, erklärte sie. »Manchmal bin ich zum Schlafen hiergeblieben.«
»Haben Sie mit Ihrer Mutter gesprochen?«
»Ja. Sie hat es, alles in allem, gut aufgenommen. Und meine Tante ist schon auf dem Weg zu ihr. Sehen Sie, Mama ist nicht mehr so ganz klar im Kopf. Manchmal ist sie völlig präsent, andere Male ist sie wie weggetreten. Als ich ihr das von Angelo erzählt habe, war es, als hätte ich über einen Bekannten gesprochen. Besser so. Möchten Sie einen Espresso?«
»Danke, nein. Aber wenn Sie einen Whisky hätten…«
»Sicher. Ich nehme auch einen.«
Sie ging hinaus und kam mit einem Tablett wieder, auf dem zwei Gläser standen und eine Flasche, die noch geöffnet werden musste. »Ich gehe nachsehen, ob es Eiswürfel gibt.«
»Ich trinke ihn ohne.«
»Ich auch.«
Wäre auf der Terrasse kein Erschossener gewesen, hätte diese Szene wie ein amouröses Vorspiel wirken können. Es fehlte nur noch ein bisschen Hintergrundmusik. Michela stieß einen tiefen Seufzer aus, lehnte ihren Kopf gegen die Rückenlehne des Sessels und schloss die Augen. In dem Augenblick traf Montalbano die Entscheidung, eine Salve abzufeuern.
»Ihr Bruder ist während oder unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr erschossen worden. Vielleicht hat er auch masturbiert.«
Auf der Stelle fuhr sie hoch wie eine Furie. »Was reden Sie denn da, Sie Blödmann?« Montalbano schien die Beleidigung nicht gehört zu haben.
»Was erstaunt Sie denn so? Ihr Bruder war ein Mann von zweiundvierzig Jahren. Und Sie, die Sie ihn doch tagtäglich gesehen haben, haben mir gesagt, dass Angelo keine Frauenbekanntschaften gehabt habe. Daher richte ich erneut die Frage an Sie: Hatte er vielleicht Männerbekanntschaften?«
Das war noch schlimmer. Sie fing an, am ganzen Körper zu zittern, streckte einen Arm aus, der Zeigefinger war wie ein Revolver auf den Commissario gerichtet.
»Sie sind ein … ein …«
»Wen wollen Sie decken, Michela?«
Sie sank im Sessel zusammen und weinte, das Gesicht mit den Händen bedeckt.
»Angelo … mein armer Bruder… mein Angelo …« Von der offen stehenden Tür drangen Geräusche von Menschen herein, die die Treppe heraufkamen. »Ich muss jetzt weg«, sagte Montalbano. »Aber gehen Sie nicht zu Bett. Ich komme später noch mal wieder, und dann sprechen wir weiter.«
»Nein.«
»Hören Sie, Michela, Sie können sich nicht weigern. Ihr Bruder ist ermordet worden, und wir müssen…«
»Ich weigere mich nicht. Ich habe Nein zu Ihrem Vorschlag gesagt, dass Sie zurückkommen und mir wer weiß wann Fragen stellen wollen, während ich jetzt einfach nur duschen, eine Schlaftablette einnehmen und zu Bett gehen will.«
»Einverstanden. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie morgen einen harten Tag vor sich haben. Unter anderem müssen Sie die Leiche identifizieren.«
»Omeingott. Omeingott. Omeingott. Und warum?« Bei dieser Frau war die Geduld eines Heiligen nötig. »Michela, haben Sie mit absoluter Sicherheit Ihren Bruder erkannt, als ich die Tür gewaltsam geöffnet habe?«
»Mit absoluter Sicherheit? Es war doch viel zu dunkel. Ich habe erkannt… Mir war, als hätte ich einen Körper in dem Sessel gesehen und …«
»Und folglich können Sie nicht sicher bestätigen, dass es sich um Ihren Bruder handelt. Theoretisch könnte nicht einmal ich es sagen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Ja«, sagte sie.
Dicke Tränen begannen ihr über das Gesicht zu laufen. Sie murmelte irgendetwas, das der Commissario nicht verstand.
»Was haben Sie gesagt?«
»Elena«, wiederholte sie etwas deutlicher.
»Und wer ist Elena?«
»Eine Frau, die mein Bruder …«
»Wieso wollten Sie sie decken?«
»Sie ist verheiratet.«
»Seit wann hatten die beiden diese Beziehung?«
»Seit sechs Monaten, länger nicht.«
»Haben die beiden ein gutes Verhältnis?«
»Angelo hat mir gesagt, dass sie manchmal stritten… Elena war… ist sehr eifersüchtig.«
»Sie wissen alles über diese Frau, nicht? Wie ihr Mann heißt, wo sie wohnt.«
»Ja.«
»Sagen Sie es mir.« Sie sagte es ihm.
»Wie ist Ihr Verhältnis zu Elena Sclafani?«
»Ich kenne sie nur vom Sehen.«
»Also
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