Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
niemandem Rechenschaft ablegen musste über das, was er tat – jetzt gezwungen war, Beba Lügen aufzutischen, wenn er nach Hause kam? Er musste etwas empfinden, das er sich damals nicht einmal im Entferntesten vorgestellt hätte: ein schweres Schuldgefühl.
Montalbano blieb nichts anderes übrig als sich einzumischen, auch wenn er nicht die geringste Lust dazu hatte. Es half alles nichts: Wenn er nicht einschritt, würde Mimì sich weiterhin nachts außer Haus herumtreiben und Beba erzählen, es geschähe auf Anweisung seines Chefs. Beba würde sich wieder bei Livia beklagen, und die würde ihm damit bis in alle Ewigkeit auf die Nerven gehen. Er musste etwas unternehmen, mehr um seiner eigenen Ruhe willen als wegen Mimì und dessen Familie.
Aber was konnte er tun?
Das war der springende Punkt. Ein Gespräch mit Mimì unter vier Augen war auszuschließen. Wenn Mimì eine andere Frau hatte, würde er es abstreiten. Er wäre fähig zu behaupten, dass er nachts weggehe, um in einem Anfall von Barmherzigkeit Obdachlosen zu helfen. Nein, zuerst musste man absolut sicher sein, dass Mimì eine Geliebte hatte, und herausfinden, wer diese Frau war und wo und wann die nächtlichen Treffen stattfanden. Aber wie sollte er vorgehen? Natürlich brauchte er jemanden, der ihn dabei unterstützte. Doch wen konnte er darauf ansprechen? Natürlich durfte er niemanden aus dem Kommissariat hinzuziehen, nicht einmal Fazio. Es musste eine rein private Sache zwischen Mimì, ihm und höchstens noch einer dritten Person bleiben. Einem Freund. Ja, nur an einen Freund konnte er sich wenden. In diesem Augenblick kam ihm der richtige Gedanke. Aber er schlief trotzdem schlecht, wachte drei- oder viermal auf und jedes Mal mit einem Gefühl von Melancholie in der Brust.
Am nächsten Morgen rief er Catarella im Kommissariat an und sagte ihm, dass er etwas später als sonst ins Büro kommen würde. Dann wartete er bis zehn Uhr, eine anständige Tageszeit, um eine Dame aufzuwecken, und tätigte den zweiten Anruf.
»Hallu? Wör bistuh?«
Eine Bassstimme. Russischer Akzent. Wahrscheinlich ein Exgeneral der ehemaligen Roten Armee, geboren in irgendeiner sowjetischen Republik jenseits von Sibirien. Ingrid war darauf spezialisiert, Hauspersonal aus unbekannten Ländern zu beschäftigen, die man erst mal im Atlas suchen musste.
»Wör bistuh?«, wiederholte der General im Befehlston.
Trotz seiner Sorgen war Montalbano zu Scherzen aufgelegt.
»Ja, sehen Sie, meine Eltern haben mir zwar einen Namen gegeben, sozusagen provisorisch, aber wer ich in Wirklichkeit bin, ist gar nicht so leicht zu sagen. Haben Sie mich verstanden?«
»Gut verstanden. Du hast existenziellen Zwoifel? Du hast verloren dain Identität und jetz du findest nicht möhr?«
Er war beeindruckt. Aber sollte er sich um diese Uhrzeit auf eine philosophische Diskussion mit einem Exgeneral einlassen?
»Hören Sie, Sie müssen entschuldigen, es ist zwar ein interessantes Thema, aber ich habe nur wenig Zeit. Ist Signora Ingrid da?«
»Ja. Aber du sagen mir dein pruovisorische Name.«
»Montalbano, Salvo Montalbano.«
Er musste eine ganze Weile warten. Dieses Mal musste er außer dem Siebener-Einmaleins auch das Achter-Einmaleins durchgehen. Und danach das Sechser.
»Entschuldige, Salvo, ich war unter der Dusche. Wie schön, dich zu hören!«
»Wer ist der General?«
»Welcher General?«
»Der am Telefon.«
»Das ist doch kein General! Das ist Igor, ein alter Philosophieprofessor.«
»Und was macht er bei dir?«
»Er verdient sich sein tägliches Brot, Salvo. Er ist Butler bei mir. Weißt du, als in Russland der Kommunismus herrschte, war er ein glühender Anhänger des Antikommunismus. Und so hat man ihn aus dem Lehrbetrieb ausgeschlossen, dann ist er ins Gefängnis gewandert, und als er rauskam, musste er Hunger leiden.«
»Aber in Russland herrscht doch gar kein Kommunismus mehr.«
»Schon, aber verstehst du, in der Zwischenzeit ist er Kommunist geworden. Revolutionskommunist. Und das hat dazu geführt, dass man ihn erneut aus dem Lehrbetrieb ausgeschlossen hat, den Armen. Da hat er beschlossen wegzugehen. Aber jetzt erzähl von dir. Ist ja eine Ewigkeit her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben. Ich würde dich übrigens sehr gern mal wieder sehen.«
»Wir können uns heute Abend treffen, wenn du keine anderweitigen Verpflichtungen hast.«
»Ich sag alles andere ab. Gehen wir essen?«
»Ja. Um acht in der Kaffeebar von Marinella.«
Fünf
Montalbano hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher