Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
bemerken.
Da also war sie, endlich persönlich selbst in Person, diese mysteriöse Frau, von der Direttore Fabio Giacchetti ihm erzählt hatte, diese Frau, die man bei ihrer Rückkehr von einem galanten Abenteuer möglicherweise hatte überfahren wollen.
»Alfano ist allerdings der Nachname meines Mannes Giovanni«, fuhr sie fort. »Meiner ist Gutierrez.«
»Sind Sie Spanierin?«
»Nein, Kolumbianerin. Aber ich lebe schon seit Jahren in Vigàta, in der Via Guttuso zwölf.«
»Was kann ich also für Sie tun, Signora?«, fragte Montalbano.
»Mein Mann fährt auf einem Containerschiff zur See, er ist Zweiter Offizier. Wir bleiben in Verbindung, indem wir uns Briefe und Postkarten schreiben. Bevor er ablegt, schreibt er mir eine Liste mit den Häfen, die sie anlaufen, mit allen Ankunfts- und Abfahrtsdaten, damit er immer meine Briefe empfangen kann. Manchmal, was aber eher die Ausnahme ist, sprechen wir uns über Satellitentelefon.«
»Und was ist passiert?«
»Giovanni hat vor einigen Monaten für eine ziemlich lange Reise angeheuert, und nach ungefähr zwanzig Tagen hatte er noch nicht ein Mal geschrieben oder telefoniert. Das ist noch nie vorgekommen. Ich habe mir Sorgen gemacht und ihn angerufen. Er hat mir gesagt, er wäre bei guter Gesundheit und hätte viel Arbeit gehabt.«
Montalbano hörte ihr wie unter einem Zauber zu. Sie hatte eine Schlafzimmerstimme, anders konnte man das nicht nennen. Sie hätte nur Bongiorno sagen müssen, und schon dachte man an zerwühlte Bettdecken, an zu Boden gefallene Kissen, an Betttücher, nass von zimtdurchtränktem Schweiß.
Der spanische Akzent, der durchkam, wenn sie länger redete, war wie ein pikantes Gewürz.
»… eine Postkarte angekommen«, sagte Dolores.
Montalbano, der sich ganz im Klang ihrer Stimme verloren hatte, war abgelenkt und dachte in der Tat an zerwühlte Betten, an heiße Nächte, vielleicht mit ein bisschen Gitarrenklang im Hintergrund …
»Entschuldigung, was haben Sie gesagt?«
»Ich habe gesagt, dass vorgestern eine Postkarte von ihm angekommen ist.«
»Gut, dann waren Sie ja bestimmt beruhigt.«
Die Frau antwortete nicht, sondern kramte aus ihrer Tasche eine Ansichtskarte hervor, die sie dem Commissario reichte.
Sie zeigte den Hafen eines Ortes, von dem Montalbano noch nie gehört hatte, die Briefmarke war argentinisch. Auf der Rückseite stand: Mir geht es gut. Und dir? Küsse, Giovanni.
Als geschwätzig konnte man ihn ja nicht gerade bezeichnen, diesen Signor Capitano. Aber immerhin besser als gar nichts. Montalbano hob den Blick und sah sie fragend an.
»Ich glaube nicht, dass er der Schreiber war. Die Unterschrift kommt mir anders vor«, sagte Dolores.
Sie holte vier weitere Postkarten aus ihrer Tasche hervor und reichte sie Montalbano.
»Vergleichen Sie sie mit diesen hier, die er mir letztes Jahr geschrieben hat.«
Es war gar nicht nötig, sich an einen Graphologen zu wenden. Die Schrift der letzten Postkarte war eindeutig gefälscht. Und das ohne besondere Sorgfalt. Die älteren Postkarten waren auch in einem anderen Ton gehalten:
Ich liebe Dich unendlich
Ich denke immer an Dich
Du fehlst mir
Ich küsse Dich überall
»Bei dieser letzten Postkarte, die mich erreicht hat«, fing Dolores wieder an, »musste ich wieder daran denken, dass ich irgendwie einen merkwürdigen Eindruck hatte, nachdem ich ihn angerufen hatte.«
»Nämlich?«
»Dass gar nicht er es war, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte. Der Betreffende hatte eine andere Stimme. Als wäre er erkältet. Doch damals habe ich mir gesagt, dass es bestimmt am Handy lag. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.«
»Und was soll ich nun Ihrer Meinung nach tun?«
»Na ja, ich weiß nicht.«
»Wir haben hier ein kleines Problem, Signora. Die Postkarte ist nicht von ihm geschrieben worden, da haben Sie recht. Aber das kann ja auch bedeuten, dass Ihr Mann nicht an Land gehen konnte, aus welchem Grund auch immer, und einen Freund beauftragt hat, sie zu schreiben und abzuschicken, damit Sie sich keine Sorgen machen.«
Dolores schüttelte den Kopf.
»In dem Fall hätte er mich ja anrufen können.«
»Das stimmt. Und warum haben Sie das nicht getan?«
»Habe ich ja. Gleich nachdem ich die Postkarte erhalten hatte und dann noch zwei weitere Male. Ich habe es auch versucht, bevor ich hierhergekommen bin. Doch das Telefon blieb immer stumm, niemand ist drangegangen.«
»Ich verstehe Ihre Besorgnis, Signora Dolores. Aber …«
»Sie können nichts
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