Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
geändert hatten. Vielleicht hielten sie ihn nicht mehr für ganz so verrückt.
»Findet ihr, dass mein Wahnsinn Methode hat?«, fragte Montalbano.
»Na ja …«, sagte Gullotta, dem die geistreiche Anspielung auf Shakespeare entgangen war.
»Aber warum bist du denn nun hergekommen und hast uns all das erzählt?«, fragte Musante.
Montalbano sah ihn entgeistert an.
»Weil der Tote unzweifelhaft ein Mafioso ist, der von seinen Leuten umgebracht wurde. Oder interessieren euch nur die lebendigen Mafiosi?«
Musante und Gullotta tauschten einen raschen Blick aus.
»Nein«, sagte Gullotta, »sie interessieren uns immer, ob tot oder lebendig. Soweit ich verstanden habe, würdest du die Ermittlung gern auf uns abwälzen.«
»Du willst dir die Sache vom Hals schaffen, weil du wahrscheinlich ein bisschen erschöpft bist«, sagte Musante mitfühlend.
Schon wieder dieses Affentheater!
»Es geht hier nicht ums Abwälzen oder um Erschöpfung.«
»Ach, nein? Worum denn dann?«, fragte Musante.
»Worum denn sonst?«, fragte Gullotta echoartig und fügte ihrem Repertoire damit eine bemerkenswerte Variante hinzu.
»Für sämtliche Ermittlungen über die Mafia seid doch bis zum Beweis des Gegenteils ihr zuständig, oder nicht?«
»Gewiss sind wir dafür zuständig. Aber eben nur, wenn wir auch sicher sein können, dass es um die Mafia geht«, sagte Musante.
»Mehr als sicher«, sagte Gullotta.
»Ich habe euch also nicht überzeugt?«
»Doch, zum Teil schon. Aber wir können doch nicht zu unseren Vorgesetzten gehen und sagen, du seist zu einer bestimmten Schlussfolgerung gelangt, weil du irgendeinen Roman von Camilleri gelesen hast …«
»… und das Matthäus-Evangelium«, rundete Gullotta das Gesagte ab.
»Wie alt seid ihr?«, fragte Montalbano.
»Ich zweiundvierzig«, sagte Musante.
»Ich vierundvierzig«, sagte Gullotta.
»Ihr seid viel zu jung«, kommentierte Montalbano.
»Was soll das heißen?«
Sie hatten wieder angefangen, im Chor zu sprechen.
»Das soll heißen, dass ihr an die Mafia von heute gewöhnt seid und überhaupt nichts mehr von der Semiologie der alten Mafia versteht.«
»Von Semiologie habe ich noch nie …«, fing Gullotta zweifelnd an.
Musante unterbrach ihn.
»Verstehst du, Montalbano, wenn du die Leiche identifiziert hättest und wir die Gewissheit hätten, dass es sich um einen Mafioso handelt, dann …«
»Hab verstanden«, sagte der Commissario. »Ihr wollt, dass man euch alles auf einem silbernen Tablett serviert.«
Zum Zeichen, dass es ihm leidtäte, breitete der Chor gleichzeitig die Arme aus.
Montalbano stand auf, der Chor stand auf.
»Darf ich euch noch um eine Information bitten?«
»Wenn wir …«
»Hat sich eurer Kenntnis nach vor ungefähr zwei Monaten irgendetwas bei der Mafia von Vigàta und Umgebung getan?«
Montalbano sah, dass er mit diesen Worten das Interesse der beiden Choristen geweckt hatte. Sie waren geradezu hochgefahren aus ihrer entspannten Abschiedshaltung.
»Warum?«, fragte der Chor lauernd.
Er würde einen Teufel tun und ihnen jetzt sagen, dass der Mord an dem Unbekannten vor zwei Monaten geschehen war.
»Ach, nur so, ist mir gerade durch den Kopf gegangen.«
»Nichts, da hat sich nichts getan«, sagte Musante.
»Absolut nichts«, bekräftigte Gullotta.
Wenn’s ums Lügen ging, wurden sie also wieder zu Solisten. Natürlich dachten sie nicht im Traum daran, einen Halbirren wie ihn in eine geheime Ermittlung einzuweihen.
Sie verabschiedeten sich.
»Pass auf dich auf«, empfahl ihm Gullotta.
»Nimm dir ein paar Tage Urlaub«, riet ihm Musante.
Also war vor zwei Monaten ganz sicher etwas passiert. Eine Angelegenheit, die die Antimafia geheim hielt, weil die Ermittlung noch im Gang war.
Als er im Kommissariat angekommen war, rief er Fazio und erzählte ihm von der Unterhaltung mit Musante und Gullotta. Er sagte ihm natürlich nicht, dass sie ihn obendrein für verrückt gehalten hatten.
»Hast du einen Freund bei der Antimafia?«
»Ja, Dottore, Morici.«
»So um die fünfzig und mit Oberlippenbärtchen?«, fragte Montalbano alarmiert.
»Nein.«
»Könntest du mal mit ihm reden?«
»Was soll ich ihn denn fragen?«
»Ob er weiß, was vor zwei Monaten passiert ist. Denn Musante und Gullotta wollten es mir nicht sagen.«
»Dottore, ich kann’s ja mal versuchen, aber …«
»Aber?«
»Bei aller Freundschaft, die mich mit Morici verbindet, das ist ein Mann von wenig Worten, ein Heiliger, der nicht schwitzt.«
»Dann bringst du
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