Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
tun?«
»Gar nichts. Verstehen Sie, so wie sich die Sache im Augenblick darstellt, könnten Sie nicht einmal eine Vermisstenanzeige aufgeben. Denn wer sagt uns, dass sich die Dinge nicht völlig anders verhalten?«
»Wie könnten sie sich denn verhalten?«
»Na ja, was weiß ich …«
Montalbano setzte zum Eiertanz an.
»Betrachten Sie das, was ich jetzt sage, bitte als reine Vermutung … Also, es könnte ja sein, dass Ihr Gatte irgendeine Begegnung hatte, ich weiß nicht, ob ich mich da klar genug ausdrücke, eine Begegnung, die …«
»Mein Mann liebt mich.«
Sie sagte das ganz ruhig, fast tonlos. Dann holte sie aus der Tasche einen Umschlag und entnahm diesem ein Blatt.
»Das hier ist ein Brief, den er mir vor vier Monaten geschrieben hat. Lesen Sie ihn.«
»… und es vergeht keine Nacht, in der ich nicht davon träume, in dir zu sein … Ich höre immer noch dein Stöhnen, wenn du zum Höhepunkt kommst … möchtest du gleich wieder von vorne anfangen … wenn deine Zunge …«
Montalbano errötete, er hatte genug gesehen und gab ihr den Brief zurück.
Vielleicht war es ja nur Einbildung, doch er meinte, ganz tief in ihren Augen ein kurzes Aufblitzen von … Ironie? Belustigung? gesehen zu haben.
»Bei seinem letzten Besuch hier, wie hat er sich da verhalten?«
»Mir gegenüber? Wie immer.«
»Hören Sie, Signora Dolores, ich kann Ihnen nur einen Rat geben, sozusagen privat. Kennen Sie den Namen des Frachters, auf dem Ihr Gatte fährt?«
»Ja, die Ruy Barbosa.«
»Dann setzen Sie sich mit der Reederei in Verbindung. Ist das eine italienische?«
»Nein, eine brasilianische, ›Stevenson & Guerra‹.«
»Haben die auch eine Niederlassung in Italien?«
»Ja, in Neapel. Der Vertreter heißt Pasquale Camera.«
»Haben Sie die Adresse, eine Telefonnummer von diesem Camera?«
»Ja, die hab ich hier aufgeschrieben.«
Aus ihrer Handtasche zog sie einen Zettel und reichte ihn Montalbano.
»Nein, geben Sie sie nicht mir. Sie müssen da selbst anrufen, um etwas zu erfahren.«
»Nein, nicht ich«, sagte Dolores mit aller Entschiedenheit.
»Warum denn nicht?«
»Weil ich nicht will, dass mein Mann denkt, dass ich … Nein, lieber nicht. Machen Sie das doch bitte.«
»Ich?! Aber Signora, ich als Commissario kann doch nicht …«
»Sagen Sie einfach, Sie wären ein Freund von Giovanni und würden sich Sorgen machen, weil Sie schon so lange nichts mehr von ihm gehört hätten.«
»Hören Sie, Signora Dolores, auch wenn ich …«
Dolores beugte sich vor. Montalbano hatte die Arme auf dem Schreibtisch liegen. Dolores legte ihre fieberheiße Hand auf die des Commissario, ihre Finger glitten in die Manschetten seines Hemdes, streichelten zuerst ganz leicht seine Haut, dann krallten sie sich fest.
»Hilf mir«, sagte sie.
»Ein… ein… einverstanden«, stammelte Montalbano.
Sie standen auf. Der Commissario öffnete ihr die Tür. Da sah er, dass das halbe Kommissariat im Vorzimmer stand, alle mit völlig gleichgültiger Miene.
Es war offensichtlich, dass Catarella ihnen von der Schönheit der Signora Dolores erzählt hatte.
Als er wieder allein war, zog er das Jackett aus, knöpfte die Manschetten auf und zog die Ärmel hoch.
Dolores hatte Spuren ihrer Fingernägel auf seiner Haut hinterlassen, sie hatte ihm ihren Stempel aufgedrückt. Ein klein wenig brannte es. Er beschnupperte seine Arme, sie rochen ganz leicht nach Zimt. Sollte er die Sache nicht am besten jetzt gleich klären? Und sich damit aus den Tatzen dieser schwarzen Leopardin befreien? Je weniger Gelegenheiten sich für ein Wiedersehen ergaben, umso besser war es für ihn.
»Catarella? Ruf mal diese Nummer in Neapel an. Aber sag nicht, dass du von einem Kommissariat aus anrufst.«
Achter-Einmal … Eine weibliche Stimme antwortete augenblicklich.
»Hier ist die Schifffahrtsagentur Camera. Wer spricht da, bitte?«
»Davide Maraschi hier. Ich hätte gern Signor Camera gesprochen.«
»Warten Sie bitte einen Augenblick.«
Er begann eine Kanzonette, die dem Ort gewidmet war, den er anrief: »O sole mio«.
»Bleiben Sie bitte einen Moment in der Leitung? Signor Camera spricht gerade auf dem anderen Apparat.«
Kanzonette: »Fenesta ca lucive«.
»Können Sie bitte noch einen Augenblick warten?«
Kanzonette: »Guapparia«.
Er mochte die neapolitanischen Kanzonen zwar, aber allmählich regte sich in ihm der Wunsch nach ein bisschen Rock. Entmutigt und in Sorge, dass er das gesamte Repertoire von Piedigrotta
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