Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
Commissario. Und die Leere wurde Stille, nicht nur wortlose Stille, sondern absolute Stille, ohne jeden Laut. Die deutlichste Linie, die man in der Dunkelheit erkennen konnte und die aus der Dünung in der Nähe des Strandes bestand, bewegte sich so langsam wie immer, doch jetzt erzeugte sie nicht das gewohnte leichte Rauschen ähnlich einem Atmen, nichts. Und das Hämmern des Dieselmotors eines Fischerbootes, dessen schwache Lampen man sah, drang nicht bis zur Veranda wie sonst. Es war, als hätte jemand den Ton abgestellt.
Danach hörte Montalbano in diesem Schweigen der Welt, vielleicht des Universums, einen kurzen, unglückseligen, seltsamen Ton aufsteigen, gefolgt von einem zweiten, gleichartigen und von einem weiteren ebensolchen. Was war das?
Er brauchte eine gewisse Zeit, bis er merkte, dass dieser Ton aus ihm selbst aufstieg. Er weinte aus tiefster Verzweiflung.
Er zwang sich, seinen Wunsch zu bezähmen, alles in Trümmer zu legen, sich um jeden Preis dieser Situation zu entziehen. Er war eben so. Er war ein Mann, der vieles verstand, was andere nicht verstanden oder nicht verstehen wollten: vorübergehende Schwächen, fehlende Courage, Rüpelhaftigkeiten, Mangel an Aufmerksamkeit, Lügen, unlautere Motive und schmutzige Handlungsweisen, Dinge, die man aus Trägheit tut, aus Langeweile, aus Eigennutz und so weiter. Aber er war außerstande, Unredlichkeit und Verrat zu verstehen und zu vergeben.
Ach, ist das so? O mein tapferer, furchtloser Ritter ohne Fehl und Tadel, du sagst, du kannst Verrat nicht vergeben?
Ja, das ist etwas, was ich nicht nachvollziehen kann. Und du, der du ich selbst bist, weißt das genau.
Wie kommt es denn dann, dass du dir verziehen hast?
Ich?! Ich habe mir nichts zu verzeihen.
Ganz sicher? Willst du freundlicherweise in deiner Erinnerung ein paar Abende zurückgehen?
Wieso, was ist da passiert?
Du hast es vergessen? Haben wir da vielleicht etwas verdrängt? An jenem Abend überkam dich genau die gleiche Traurigkeit wie diese Nacht, nur dass neulich Ingrid bei dir war, die dich getröstet hat. Und wie sie dich getröstet hat.
Na ja, das ist passiert, weil …
Montalbano, angesichts derartiger Vorkommnisse kann es Gründe für das Wie und Warum geben, doch die Sache hat immer denselben Namen: Verrat.
Soll ich dir was sagen? All das ist nur passiert wegen des verdammten Critaru, wegen des Töpferackers.
Erklär das mal genauer.
Ich denke, das ist der Ort des gemeinsten Verrats, der Ort, an dem der Verräter sogar sein eigenes Leben verrät, dieser Ort ist verdammt. Wer in seine Nähe gerät, wird auf die eine oder andere Weise vom Verrat infiziert. Ich habe verraten, Dolores verrät Mimì, Mimì verrät mich …
Also gut, wenn die Dinge sich so verhalten, dann hol Mimì von diesem unheilvollen Ort weg. Ihr seid, oder vielmehr wir sind alle gleich.
Er stand auf, ging hinein, setzte sich hin und schrieb seinen Brief weiter.
Vierzehn
Und so habe ich, lieber Salvo, wie du siehst, die beiden Worte miteinander in Verbindung gebracht und dieses tolle Resultat erhalten. Doch auch wenn das Ergebnis in seiner Tragweite den Ausgangsbegriffen entspricht, gibt es noch ganz andere Fragen, die gestellt werden müssen. Für heute Nacht genügen mir drei. Die erste: Wie hat Dolores herausgefunden, dass Giovanni von jemandem entführt und ermordet wurde, den Don Balduccio geschickt hatte? Die zweite (mit einer untergeordneten): Warum ist Dolores so sicher, dass es Don Balduccio war, der Giovanni hatte umbringen lassen? In welcher Beziehung standen Giovanni und Balduccio tatsächlich zueinander?
Die dritte: Warum will Dolores den Verlauf der Ermittlungen mit Hilfe von Mimì kontrollieren?
Mögliche Antwort auf die erste Frage.
Dolores hat uns gesagt, sie sei auf dem Rückweg von Gioia Tauro vom Sekundenschlaf übermannt worden und am folgenden Tag nach Vigàta zurückgekehrt, nachdem sie in einem Motel übernachtet habe. Es könnte aber sein, dass sie uns nicht die Wahrheit gesagt hat, dass sie nämlich aus ganz persönlichen Gründen in Gioia Tauro geblieben ist und so feststellen konnte, dass Giovanni gar nicht an Bord gehen konnte, weil er von Balduccio entführt worden war. Warum aber kommt sie dann nicht zu uns und spricht ganz offen darüber? Vielleicht, weil sie das nur vermutet und keine Beweise hat. Vielleicht, weil sie nicht weiß, wie ihr Mann ermordet wurde und wo sich die Leiche befindet. Es muss ihr klar geworden sein, nachdem Mimì ihr von dem Toten vom Critaru
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