Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
sich. Er fuhr langsam und bedächtig, weil er die Ausfahrt zum Lido von Palmi suchte. Es gab zwar die Ausfahrt nach Palmi, nicht aber die zum Lido. Wie konnte das denn sein? Er war sicher, dass er die Ausfahrt nicht aus Unachtsamkeit verpasst hatte, und beschloss daher, bis Gioia Tauro weiterzufahren. Er fuhr von der Autobahn ab in Richtung Stadt und hielt an der ersten Tankstelle, die er fand.
»Sagen Sie, ich muss zum Lido von Palmi. Nehm ich da die Autobahn?«
»Über die Autobahn kommen Sie da nicht hin, oder Sie müssen einen komplizierten und langen Umweg fahren. Besser, Sie nehmen die Staatsstraße, da können Sie außerdem die Meeresluft genießen.«
Er ließ sich erklären, wie er auf die Staatsstraße kam.
»Ach, und noch etwas, bitte entschuldigen Sie. Wo ist die Via Gerace?«
»Sie kommen auf dem Weg zur Staatsstraße daran vorbei.«
Die Nummer fünfzehn in der Via Gerace bestand aus einem Apartment, das ursprünglich einmal eine verhältnismäßig große Garage gewesen sein musste. Sie war die erste von vier identischen, nebeneinanderliegenden Kleinwohnungen, jede mit Gartentörchen und winzigem Gärtchen. Neben der Haustür eine Mülltonne. Sie befanden sich am rückwärtigen Teil eines zehnstöckigen Gebäudes. Mit Sicherheit fanden sie als Lasterhöhlen oder als vorübergehende Unterkunft für Leute auf Durchreise Verwendung. Er stieg aus dem Wagen, zog die Schlüssel, die er von Fazios Schreibtisch genommen hatte, aus der Tasche, öffnete das Törchen, schloss es wieder hinter sich, öffnete die Haustür und schloss sie wieder. Es sprach für Macannucos Kunstfertigkeit, dass er ohne Beschädigung des Türschlosses hineingekommen war. Die Wohnung war ziemlich dunkel, und Montalbano schaltete das Licht ein.
Es gab eine winzige Diele, die nicht fotografiert worden war, darin fanden gerade mal ein Kleiderständer und ein niedriges Schränkchen mit Schublade Platz, darauf eine Lampe, die diesen Raum beleuchtete. Die Küche war wie auf dem Foto, doch jetzt waren die Hängeschränke geöffnet, ebenso der Kühlschrank, und Flaschen, Dosen und Päckchen waren durcheinander auf den Tisch geworfen worden.
Im Schlafzimmer war die Durchsuchung mit der Zerstörungsgewalt einer Windhose verlaufen, Alfanos Hose lag zusammengeknüllt auf dem Boden. Im Badezimmer waren der Spülkasten abgenommen und alle Rohrleitungen freigelegt worden, indem man die Wand aufgeschlagen hatte, die schräge Deckenluke über dem Waschbecken war offen geblieben, neben dem Bidet lehnte eine Ausziehleiter. Montalbano rückte sie bis unter die Deckenluke und stieg hinauf. Die Zwischendecke war leer, ganz offensichtlich hatten die von der Spurensicherung den Koffer und den Schuhkarton mitgenommen.
Er stieg wieder herunter, ging in die Diele und öffnete die Schublade des Schränkchens. Gas- und Stromrechnungen. Unter dem Schränkchen, dessen Beine keine fünf Zentimeter hoch waren, lugte das weiße Dreieck eines Umschlags hervor. Montalbano bückte sich und holte ihn hervor. Der Umschlag war verschlossen, eine Rechnung des Stromanbieters. Er öffnete ihn. Auf der Rechnung war als letzter Zahltag der dreißigste August angegeben. Sie war unbezahlt. Er steckte sie wieder unter das Schränkchen und wollte gerade das Licht ausschalten, als er etwas bemerkte.
Er näherte sich erneut dem Schränkchen, fuhr mit einem Finger darüber, hob die Lampe hoch, stellte sie wieder hin, öffnete die Tür, ging hinaus, schloss sie ab, hob den Deckel der Mülltonne hoch. Sie war leer, bis auf ein paar Rostflecken auf dem Boden. Er verschloss sie wieder ordentlich, öffnete das Törchen und wollte es gerade schließen, als er über sich eine Stimme hörte.
»Entschuldigung, aber wer sind Sie?«
Sie war um die fünfzig, brachte gut und gerne hundertfünfzig Kilo auf die Waage und hatte die kürzesten Beine, die Montalbano je bei einem Menschen gesehen hatte. Rund wie ein Ballon. Sie stand im ersten Stock des Hauses auf einem Balkon direkt über dem Dach des Apartments der Alfanos.
»Polizei. Und wer sind Sie?«
»Die Hausmeisterin.«
»Ich würde gern mit Ihnen reden.«
»Dann reden Sie!«
Im zweiten Stock schwang ein halb geöffnetes Fenster vollends auf, und eine junge Frau um die zwanzig erschien mit aufgestützten Ellbogen über der Brüstung, um nur ja alles mitzubekommen.
»Hören Sie, Signora, müssen wir uns auf diese Entfernung unterhalten?«
»Mich stört das nicht.«
»Mich aber schon. Bitte kommen Sie doch runter in die
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