Commissario Montalbano 13 - Das Ritual der Rache
warum? Oder ist Balduccio Sinagra etwa kein Verbrecher und Mörder?«
»Was soll das denn, Mimì? Zugegeben, er ist ein Mörder, aber willst du ihm den Mord auch dann anhängen, wenn er Alfano gar nicht umgebracht hat? Findest du, dass einer mehr oder weniger keinen Unterschied macht? Denn das tut es schon.«
»Verteidigst du ihn jetzt auch noch?«
Es war wie ein Blitz. Der Albtraum vor ein paar Nächten, in dem Totò Riina ihm den Posten des Innenministers angeboten hatte, schoss durch seine Erinnerung.
»Red keinen Stuss, Mimì«, sagte er, wenn auch eigentlich mehr an Riina gewandt. »Ich verteidige keinen Mafioso, ich sage nur, dass man niemanden, egal ob er nun Mafioso ist oder nicht, eines Verbrechens beschuldigen sollte, das er möglicherweise gar nicht begangen hat.«
»Ich bin davon überzeugt, dass er es war, der Alfano hat umbringen lassen.«
»Dann solltest du auch Tommaseo davon überzeugen. Und auf welcher Seite steht der Polizeipräsident?«
»Er ist derselben Meinung wie Tommaseo. Er hat mir vorgeschlagen, mit Musante zu reden.«
»Ich glaube nicht, dass der dir eine Hilfe sein wird. Wie geht es Beba und dem Kleinen?«
»Gut.«
Er stand auf, um hinauszugehen, und Montalbano hielt ihn zurück, bevor er die Tür öffnen konnte.
»Mimì, entschuldige, ich will dir schon ganz lange eine Frage stellen, aber weil wir in der letzten Zeit nicht miteinander reden konnten …«
»Sag schon.«
»Du weißt nichts über drei Personen in Catania …«
Er unterbrach sich, öffnete die oberste Schublade auf der linken Seite, nahm das erstbeste Blatt und tat so, als würde er lesen.
»… die Bonura, Pecorini und Di Silvestro heißen?«
Die Frage war gestellt, und Montalbano hatte das Gefühl, am Rand eines Abgrunds zu stehen. Er sah Mimì an, die Augen wie Gewehrläufe auf ihn gerichtet, und hoffte, dass sein Gesicht nichts über sein Inneres verriet. Den ersten und den letzten Namen hatte er erfunden. Mimì wirkte aufrichtig überrascht.
»Warte mal. Ich meine, dass wir letztes Jahr mit einem gewissen Di Silvestro zu tun hatten, ich weiß aber nicht mehr, in welcher Angelegenheit, die anderen beiden Namen habe ich noch nie gehört. Warum willst du das wissen?«
»Vor einiger Zeit hatte ich wegen versuchten Mordes mit ihnen zu tun. Ist aber nicht so wichtig. Mach’s gut.«
Die Frage war außerordentlich riskant, aber er war froh, dass er sie gestellt hatte. Hätte Mimì gesagt, dass er Pecorini kennt, hätte er sich in Montalbanos Augen wesentlich stärker belastet. Dolores hatte ihm also nichts von der zurückliegenden Geschichte mit dem Metzger erzählt. Aber wenn man es recht bedachte, war das ja auch gar nicht in ihrem Interesse. Und, das war das Allerwichtigste, sie hatte ihm auch nicht erzählt, dass die Villa, in der sie sich trafen, Pecorini gehörte. Da überkam ihn eine solche Zufriedenheit, dass er sich beim Pfeifen erwischte, etwas, das er noch nie gekonnt hatte.
Der zweite Schachzug, den er vorhergesehen hatte, wurde am späten Abend ausgeführt, als er gerade auf dem Weg ins Badezimmer war, um sich dort vor dem Zubettgehen auszuziehen.
»Commissario Montalbano?«
»Ja.«
»Ich schäme mich zutiefst, dass ich gezwungen bin, Sie um diese Zeit anzurufen und in Ihre Privatsphäre einzudringen, noch dazu nach einem harten Arbeitstag …«
Er hatte erkannt, wer da am Telefon war. Nicht nur an der Stimme, sondern auch an der Art zu sprechen, den gedrechselten und geschraubten Sätzen, die er von sich gab. Aber man musste die Spielregeln achten.
»Darf ich erfahren, wer da spricht?«
»Avvocato Guttadauro am Apparat.«
Als er das erste Mal mit ihm zu tun hatte, hatte er gedacht, dass ein Wurm mehr Sinn für Anstand besaß als Rechtsanwalt Orazio Guttadauro, der Vertrauensmann von Balduccio Sinagra. Im häufigeren Umgang mit ihm war er dann zu der Überzeugung gelangt, dass selbst ein Haufen Hundescheiße mehr Sinn für Anstand besaß.
»Lieber Avvocato! Wie geht es Ihrem Freund und Mandanten?«
Hier musste kein Name genannt werden. Guttadauro stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus. Danach noch einen. Dann antwortete er.
»Was für ein Unglück, Dottore, was für ein Unglück!«
»Geht es ihm nicht gut?«
»Ich weiß nicht, ob Sie wissen, dass es ihm vor Monaten sehr schlecht ging.«
»Man sagte es mir.«
»Danach hat er sich einigermaßen gut erholt, zumindest körperlich, Gott sei Dank.«
Montalbano stellte sich eine subtile theologische Frage: Sollte Gott gedankt
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