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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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Erinnerung daran ließ Lissie erschauern.
    Das Foto geriet zum Film. Lissie stellte sich vor, wie die Carabinieri die kleinen Hände, die sich in den Stoff gekrallt hatten, gewaltsam auseinandergebogen hatten. Sie bremste sich. Vielleicht hatte der Vater ja seiner Kleinen beruhigend zugeredet.
    »Papi kommt bald wieder«, hörte Lissie es plötzlich flüstern. Sie fuhr zurück. Der Satz schien aus dem Mauerwerk gekommen zu sein. Lissie riss sich zusammen. Sie hatte wirklich eine zu lebhafte Phantasie. Vermutlich hatte sich das stete Tröpfeln des Wassers und der Wind, der die unebenen Mauern entlangzischelte, zu einem Geräusch vermischt, das sich so ähnlich wie ein Flüstern anhörte. Diese Durchgänge hatten eine ganz besondere Akustik, da konnte man schon Halluzinationen kriegen.
    Energisch wischte sie einen Wassertropfen von der Stirn, der gerade dabei war, in ihr rechtes Auge zu laufen. Sie war froh, dass das Ende des Gangs in Sicht war und sie auf die Straße hinaustreten konnte. Aber auch die Lauben waren verlassen. Es war unnatürlich ruhig für diesen recht lauen Abend. Wo steckten bloß die Touristen? Lissie hatte das eigenartige Gefühl, in eine andere Zeit geraten zu sein. Das einzige Geräusch stammte von kleinen Rinnsalen, die in Edelstahlkanälen die Lauben entlangplätscherten. Ein wenig Licht fing sich in dem Wasser, und sie streckte probeweise eine nackte Zehe hinein. Sie zuckte zurück, das Wasser war unerwartet kalt. Schmelzwasser vom Berg.
    Papi war nicht wiedergekommen.
    Die Aufnahmen von dem kleinen Mädchen und seinem Vater ließen sich nicht abschütteln. Die Bildunterzeile in den »Dolomiten« lautete: »Martin Turmoser wird seiner Familie entrissen!« Der Name hatte Lissie keine Ruhe gelassen, und sie hatte das Archiv nach weiteren Zeitungsberichten durchforstet, bis sie fündig wurde. Nach zwei Monaten im Mailänder Gefängnis war Turmoser gestorben, Herzinfarkt. Wie es dazu kam, war offenbar nie geklärt worden.
    Vielleicht hat sich der Mann einfach möglichst schnell ins Jenseits verkrümelt, dachte Lissie. Besser von sich aus loslassen, bevor die Folter einen doch noch kleinkriegt. Doch dann erinnerte sie sich an das helle Oval des Kinderkopfs und wusste, dass Martin Turmoser ganz bestimmt hatte durchhalten wollen. Wenn er nur irgendwie gekonnt hätte.
    Ganz am Schluss hatte Lissie auch den Fall gefunden, bei dem die alte Wirtin der Leadner Alm eine tragende Rolle gespielt hatte. Die damals Zweiundzwanzigjährige hatte ein schwarzes Kleid und einen schwarzen Hut getragen und wurde links und rechts von zwei anderen Frauen gestützt. Der Fotograf hatte die drei vor einer großen Eiche erwischt, durch deren Blattwerk die Sonne schien und helle Flecken auf das schattige Friedhofspflaster malte. Die Augen der jungen Frau waren geschlossen, das Gesicht ganz leer und blank gewischt. Fast wie beim eigenen Tod, dachte Lissie.
    Plötzlich fuhr sie zusammen. Sie merkte, dass sie überhaupt nicht mehr aufgepasst hatte. Mittlerweile war sie in einer ganz anderen Richtung als zum Hotel Felderer unterwegs und hatte die Laubengänge längst hinter sich gelassen.
    In der Straße, in der sie sich gerade befand, spendeten nur wenige Lampen in großen Abständen Licht. Sie schaute die dunkle Fassade des Hauses hoch, das über ihr aufragte. Erst jetzt merkte sie, dass sie sich vor ihrer alten Pension befand.
    Im ersten Stock des Nikolausstifts brannte in einem der Eckzimmer mit großen Fenstern noch Licht. Lissie sah, dass sich eine massige Silhouette hinter den zugezogenen Vorhängen unruhig hin- und herbewegte. Bestimmt Pavarotti, der im Zimmer auf- und abmarschiert.
    Die Pforte war geschlossen, der Garten lag im Dunkeln. Trotzdem glaubte sie, zwischen den Bäumen hindurch etwas Helles ausmachen zu können. Die Bank, auf der ihr Vater immer gesessen hatte, war weiß gestrichen gewesen.
    Voll innerer Unruhe machte sie schließlich kehrt. Hatte ihr Vater wieder einmal in ihrem Unterbewusstsein Regie geführt?
    Das Gefühl, etwas wolle an die Oberfläche, wurde immer stärker, aber die Botschaft war zu diffus, um sie greifen zu können.
    Als Lissie schließlich durch die halb dunkle Lobby des Hotels Felderer in Richtung Aufzug strebte, überkam sie eine überwältigende bleierne Niedergeschlagenheit, ohne dass sie die Ursache dafür hätte benennen können.

SIEBEN
    Samstag, 7. Mai
    Mit bewusst ungelenken Bewegungen beugte sich Pavarotti nach unten, um seinen Ball auf das Tee zu setzen, und gab damit den

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