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Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman

Titel: Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Florin
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Aus Topolinis arroganter Stimme hatte er ganz deutlich herausgehört, wie überlegen der Junge sich fühlte. Pavarottis Augen funkelten. Du wirst dich noch wundern, du junger Schnösel.
    Er gab Emmenegger die Anweisung, ihn zurück zum Nikolausstift zu chauffieren. Pavarotti merkte, dass er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hat, sein Magen knurrte vernehmlich. Emmenegger griff ins Handschuhfach und reichte ihm wortlos einen leicht verquetschten Mars-Riegel. Als der Wagen kurz darauf vor dem Nikolausstift hielt und Pavarotti ausstieg, musste er seine Hose ein wenig hochziehen. Sein Hosenbund saß lockerer als sonst. Er betastete seinen Gürtel. Tatsächlich. Er musste ein wenig abgenommen haben. Dieser Anfangserfolg durfte auf keinen Fall ruiniert werden. Pavarotti reichte die Kalorienbombe durchs halb offene Fenster zurück.
    »Danke, Emmenegger, bewahren Sie das doch auf, als Notration sozusagen!«
    Emmenegger zuckte wortlos mit den Schultern und versenkte den Riegel wieder im Handschuhfach.
    Der Commissario stieg die Steinstufen zum Nikolausstift hoch und strebte Richtung Eingangspforte. Wenn er bei Elsbeth ein wenig gut Wetter machte, würde sie ihm bestimmt noch ein Schinkenbrot richten. Mit ganz, ganz wenig Butter.
    Doch als die Tür aufging und er ihr zorniges Gesicht im Lichtkegel der Haustür sah, wusste er, dass er an diesem Tag noch ein paar Gramm mehr abnehmen würde. Resigniert drehte er sich zu Emmenegger und dem Schokoladenriegel um, doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr der Wagen an.
    Pavarotti versuchte die saure Miene seiner Wirtin und seinen knurrenden Magen zu ignorieren und stapfte an ihr vorbei ins Haus.
    * * *
    Der Nachtportier drückte auf den Summer. Lissie nickte ihm zu und trat durch die aufschwingende Tür auf die Straße. Eine überraschend laue Nacht umfing sie. Lissie hatte Glück gehabt. Das Archiv der »Dolomiten« war an Freitagen bis zehn Uhr abends geöffnet.
    Lissies Augen brannten schon wieder, diesmal wegen des stundenlangen Starrens auf kleine Buchstaben in Zeitungsartikeln, die auf Mikrofiches oder gelblichen Originalseiten an ihr vorbeidefilierten, vor ihren Augen tanzten und am Ende immer mehr verschwammen.
    Lissie passierte das Forstbräu. Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, ob wohl in den Hinterzimmern des altehrwürdigen Wirtshauses die Pläne für die Feuernacht oder für spätere Anschläge ausgeheckt worden waren. Wohl kaum, nicht im Zentrum Merans unter dem Auge der allgegenwärtigen italienischen Obrigkeit. Vermutlich eher in Almhütten oben an den Hängen, in versteckten Seitentälern, auf abgelegenen Bauernhöfen.
    Ihre Archivrecherche hatte mehr neue Fragen aufgeworfen als Antworten ergeben. Sie fragte sich, wie einsam die Attentäter wohl gewesen waren. Waren sie Outlaws, oder wurden sie von der Bevölkerung unterstützt? Wurden ihre Familien von anderen geschnitten, aus Angst vor Repressalien? Wie war es überhaupt den Frauen und Kindern ergangen?
    Speziell die Kinder spukten Lissie im Kopf herum. Bestimmt waren viele von ihnen ganz und gar nicht unbeschwert aufgewachsen. Den größeren Jungs und Mädels, die das meiste schon mitbekamen, war vermutlich jedes Mal angst und bang, wenn sie sich nach der Schule oder nach dem Spielen auf den Heimweg machten. Zu Hause konnte etwas Schlimmes passiert sein. Viele Väter wurden in dieser Zeit von den Carabinieri abgeholt.
    In anderen Familien waren die Väter schon seit Monaten untergetaucht, saßen auf abgelegenen Höfen und Hütten in ihren Verstecken. Was diese Kinder wohl von ihren Erzeugern gehalten hatten, die sich zu Hause nicht mehr blicken ließen? Die Touristen von heute haben ja keine Ahnung, dachte Lissie. Sie merkte, dass sie todmüde und aufgekratzt zugleich war. Irgendetwas zupfte an den Rändern ihres Bewusstseins. Wie früher begann sie unwillkürlich, sich treiben zu lassen.
    Sie bog in einen dunklen Durchgang ein, der über ein paar Stufen nach unten führte und später, am anderen Ende, in die Lauben einmündete. In diesem Gang erinnerte nichts an helle, moderne Lichthöfe mit Marmor und Terrakotta. Die waren hier hundert Jahre entfernt. Das gemauerte und notdürftig abgestützte Gelass wurde von Glühbirnen erleuchtet, die in regelmäßigen Abständen von der Decke hingen. Zugluft ließ die Lämpchen schwanken und zeichnete zuckende Schattenmuster an die Wände.
    Im Zeitungsarchiv war es heiß und stickig gewesen. Sie schrieb es ihrer Übermüdung zu, dass sie jetzt in den Wandschatten

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