Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
war.
Inzwischen reichte ihr Können gerade noch für kleine, zweitrangige Auftragsarbeiten, wenn die Pfarrei in Meran niemand anderen fand. In seltenen Fällen war es auch die Meraner Denkmalpflege, die ihr einen Auftrag erteilte. Sie wusste natürlich ganz genau, dass es sich um ein Almosen handelte, um eine Art posthumen Freundschaftsdienst für ihren Vater.
Elsbeth zuckte die Schultern. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie geglaubt, die Pension weiterführen zu müssen, und ihren Beruf als Restauratorin an den Nagel gehängt. Inzwischen war der Ärger über ihre Dummheit verflogen. Er hatte einem flüchtigen Bedauern Platz gemacht, das sich einstellte, wenn sie an früher dachte.
Elsbeth drehte ihre Hände ein letztes Mal unter dem Wasserstrahl hin und her und begutachtete ihre Finger. Tadellos. Heute war sie besonders gründlich gewesen. Aber dafür brannten ihre Nagelhäute jetzt höllisch. So sehr sie die Arbeit selbst liebte – die Aufräumarbeiten, das Reinigen der Pinsel und Spatel, das Abkratzen von Lehm und Spezialfarbe von den Händen, das hasste sie wie die Pest.
Ihr Blick fiel auf die Delfter Fliesen über der Spüle, die ihr Vater unbedingt hatte einbauen müssen. Damals hatten die Hochleitners noch Geld gehabt. Und das galt noch mehr für die Familiengeneration davor, die am Anfang des letzten Jahrhunderts das Haus übernommen hatte. Elsbeth musste grinsen, als sie an den ursprünglichen Zweck des Nikolausstifts dachte, der überhaupt nicht zu einem männlichen Heiligen als Namensgeber passte. Das Stift hatte vor allem als Unterkunft für vornehme, unverheiratete Damen gedient, die – wie es damals üblich war – von ihren Familien abgeschoben worden waren.
Der Schmierfilm auf der wertvollen Keramik holte Elsbeth in die Gegenwart zurück. Ihre Zugehfrau taugte nichts, aber nicht mal die würde sie sich in Kürze mehr leisten können. Sie drehte die Wasserhähne zu. Am besten verkaufte sie die Fliesen so schnell wie möglich, das würde mit Sicherheit mehr Geld auf einmal einbringen als ihre Gelegenheitsarbeiten.
Lange würde sie die Pension sowieso nicht mehr halten können. Das Haus war zu groß für die wenigen Gäste und verschlang viel zu viel Geld für den Unterhalt. Wie so oft ging Elsbeth in Gedanken die einzige Option durch, die ihr mittelfristig neben der Geschäftsaufgabe noch blieb. Sie blickte sich um. Das Haus müsste von Grund auf renoviert werden. Sie müsste den Wellness-Trend mitmachen, eine Saunalandschaft, vielleicht sogar ein Schwimmbad einbauen. Platz genug böte das Areal schon, das Grundstück und die Gebäude wären sogar ideal für ein Beauty-Hotel. Aber wozu? Auch wenn Justus erst dreizehn war, hatte er schon einen halbwegs konkreten Plan für später: Sportmedizin studieren. Er wird genauso stur wie sein Vater, dachte sie. Deshalb würde Justus am Ende seinen Kopf durchsetzen, obwohl ein gut gehendes Hotel in Meran viel Geld abwerfen konnte.
Im Augenwinkel sah sie, dass das Marmeladenbrot in der rechten Hand ihres Enkels gefährlich kippte, als er mit seinem Telefon herumhantierte. Ein dicker roter Tropfen suppte auf den Boden, aber Justus schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Elsbeth seufzte, als sie nach dem Küchenpapier griff. Im Unterschied zu ihr waren Justus pflichtbezogene Überlegungen fremd. Vielleicht hatte er ja recht.
»Bitte, Justus, setz dich endlich hin oder mach dich irgendwie nützlich. Hier sind die Semmeln und die Marmelade für unsere Dame aus Frankfurt.« Entschlossen drückte Elsbeth Hochleitner ihrem Enkel ein nicht gerade üppig bestücktes Frühstückstablett in die Hand. Mehr als Semmeln, Butter und Erdbeermarmelade gab die Kalkulation nicht mehr her.
* * *
Justus stellte das Tablett schwungvoll vor dem einzigen Gast im Frühstückszimmer ab und streifte die Frau mit einem neugierigen Blick, bevor er wieder in Richtung Küche abdrehte. Wie kam so eine wie die bloß auf die Idee, ihren Urlaub in der heruntergewirtschafteten Pension seiner Oma zu verbringen?
Doch dann ließ er den Gedanken fallen, weil ihn wieder die Unruhe überkam. Warum meldete sich Karl nicht? Er hätte längst hier sein sollen. Sie hatten abgemacht, die nächste Tour zu besprechen. Als Karl den Plan zur Sprache brachte, war Justus anfangs ein bisschen ängstlich gewesen, denn von der Sarner Scharte hieß es, sie sei ziemlich anspruchsvoll. Doch Karl hatte ihn beruhigt und gesagt, er brauche sich keine Sorgen zu machen, denn er sei jetzt so weit für eine solche
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