Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
wieder, das zur Hälfte als Bibliothek, zur anderen Hälfte als Wohnzimmer mit einer mehrteiligen Sitzlandschaft eingerichtet war. Die Bücherregale reichten an zwei aneinandergrenzenden Wänden bis an die Decke und waren derart vollgestopft, als ob es bloß darauf angekommen wäre, so viel wie möglich unterzubringen.
In einer Ecke der riesigen Couchgarnitur saß eine junge Frau. Pavarotti vermutete, dass es sich um die Ehefrau des Opfers handelte. Sie hielt den Kopf gesenkt, deshalb konnte Pavarotti ihr Alter nur grob schätzen. Sie musste um die dreißig sein. Ihre Wangenpartie war mit hellroten Flecken übersät, dort, wo ihre Tränen getrocknet waren und die Haut angegriffen hatten. Im Moment heulte sie aber nicht. Pavarotti war dankbar dafür. Vielleicht hatte die Frau einfach nicht mehr genügend Tränenflüssigkeit übrig. Vielleicht hatte sie aber auch ein anderes Ventil gefunden. Sie hielt ein riesiges, potthässliches Goldbrokat-Kissen mit ihren Fingern gepackt, drückte es gegen ihren hochschwangeren Bauch und zupfte die Fransen aus den Troddeln heraus. Sie war schon ganz schön weit damit. Pavarotti fand, dass sie damit ein gutes Werk tat.
Im Zimmer war es kalt. Eins der großen Panoramafenster war weit offen. Davor stand sehr aufrecht ein hagerer alter Mann mit verschränkten Armen, die Beine gespreizt. Auf Pavarotti wirkte er ausgesprochen wachsam. Pavarotti beschloss, mit der Frau anzufangen.
»Frau Felderer? Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?« Er räusperte sich. »Mein Name ist Luciano Pavarotti, ich leite die Ermittlungen zum Tod Ihres Mannes.«
Die junge Frau nickte nur, ohne aufzusehen. Pavarotti wartete, aber sie antwortete nicht. Sie zupfte einfach weiter, riss an der Wolle.
»Entschuldigen Sie das Benehmen meiner Schwiegertochter. Louisa steht unter Schock, das arme Mädchen.« Der Hagere ging auf Pavarotti zu und reichte ihm die Hand. »Ich bin Emil Felderer, der Vater von Karl.«
Die gönnerhafte Art, wie der Mann seine Schwiegertochter behandelte, war Pavarotti augenblicklich unsympathisch. »Na, dafür sind ja wenigstens Sie vom Schock verschont geblieben«, gab er zurück. Danach hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. »Auch Ihnen mein Beileid«, setzte er in einem linkischen Versuch hinzu, die Wogen wieder zu glätten.
Felderer erwiderte nichts, machte auch keine Anstalten, ihm einen Platz anzubieten.
Pavarotti beschloss, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und steuerte auf ein weißgoldenes Sitzmöbel zu, das ihm einen guten Blick auf beide Felderers bot. Der Sessel sah einigermaßen stabil aus. Er setzte sich und lehnte sich vorsichtig zurück.
Die Einrichtung machte einen zusammengewürfelten, ungemütlichen Eindruck, obwohl die meisten Möbel teuer aussahen. Die Bücherregale aus rötlichem Kirschholz waren prächtig und sicher maßgefertigt. Die Sitzlandschaft war mit hochwertigem Leinen und Brokat überzogen. Der Couchtisch und eine kleine Anrichte an der Stirnseite stammten dagegen sichtlich aus der Bauernmöbelabteilung eines Kaufhauses. Sie wirkten rührend fehl am Platz. Genauso wie die junge Frau, die sich in die Sofaecke drückte. Vielleicht hatte die Frau diese Weichholzkollektion mit in die Ehe gebracht und sich trotzig geweigert, sie auszumustern.
Pavarotti lächelte schief. Eigentlich konnte einem die Kleine leidtun. Aber die Atmosphäre, die in dem Zimmer herrschte, machte es ihm unmöglich, Mitleid zu empfinden. In der Stille hallte noch das Gespräch nach, das vor seinem Eintreffen hier stattgefunden haben musste. Pavarotti hätte nur zu gern gewusst, was dabei zur Sprache gekommen war. Harmonisch war es bestimmt nicht gewesen. Laute Stimmen und Vorwürfe lagen noch in der Luft.
Er sah, dass der Alte wieder vor der großen Fensterfront Aufstellung genommen hatte. Mit dem kalten Wind strömte der modrige Geruch von nassem Moos herein. Draußen hatte der vom Wetterdienst angesagte Regen eingesetzt, und das Licht war bereits schwach, obwohl es noch nicht einmal Mittagszeit war. Der Garten war nur schemenhaft zu erkennen. Pavarotti sah ungepflegte Beete, auf die der Regen prasselte. Als einzige Farbtupfer sprossen prächtige Kaiserkronen mitten aus dem Unkraut. Über den Obstbäumen auf der Rückseite des Gartens zeichneten sich die Umrisse eines Weinbergs ab.
»Haben Sie ein Problem mit Wühlmäusen?«
»Wie bitte?« Konsterniert blickte Louisa von ihrer zerstörerischen Handarbeit auf.
Pavarotti war begeistert. Mit einer völlig
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