Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
Gesicht gefror.
»Ja, Sie!«
Der Sergente nickte wortlos.
Zu Brunthaler sagte Pavarotti: »Schaffen Sie bitte die Katie Renzinger auf die Polizeiwache, sagen wir, in zwei Stunden. Bis dahin bin ich mit der Befragung der Familie durch.« Wieder kroch der Zorn in ihm hoch. Die Befragung war bloß noch Formsache, denn einen unverfälschten Eindruck davon, wie die Familie die Nachricht aufnahm, würde er nicht mehr kriegen. Die hatten inzwischen genügend Zeit gehabt, sich zu beruhigen und ihre Geschichten aufeinander abzustimmen. Dafür hatte Signore Alberti mit seinem Vorpreschen gesorgt, molte grazie .
Er wandte sich zu Emmenegger um. »Sie warten hier, bis die Spurensicherung im zweiten Anlauf ihren Job erledigt hat. Vielleicht hat sich ja bis dahin auch mal unsere geschätzte Gerichtsmedizinerin hierherbemüht, um den Tatzeitpunkt näher einzugrenzen.« Pavarotti ging erneut in die Hocke und bewegte vorsichtig einen Arm und ein Bein der Leiche. Als er sich schließlich wieder aufrichtete, protestierten seine Knie, und er stöhnte unterdrückt.
»Ich glaube, wir können auch ohne die Dame schon mal davon ausgehen, dass der Tod nicht erst heute am Morgen eingetreten ist. Die Leichenstarre ist ja bereits wieder vollständig abgeklungen. Vielleicht hat jemand etwas gehört oder gesehen. Emmenegger, Sie lassen unsere liebe Kollegin erst wieder entschwinden, wenn sie Ihnen einen Anhaltspunkt zur Mordzeit gegeben hat. Notfalls nehmen Sie sie fest, verstanden? Und dann klappert ihr beiden die Nachbarschaft in den Lauben ab. Alles klar?«
Die beiden Polizisten nickten schicksalsergeben.
* * *
Mit schwerem Kopf fuhr Lissie hoch. Sie fühlte sich, als ob sie überhaupt nicht geschlafen hätte. Aber das konnte nicht stimmen, denn sonst hätte sie ja wohl kaum einen Alptraum haben können. Die Traumfetzen entglitten ihr zwar schon, aber sie wusste noch, dass dieser schmallippige Kellner, der sie und diesen Weiberhelden am Vorabend bedient hatte, die Hauptrolle darin gespielt hatte. In ihrem Traum war er mit einer Geldbörse, die die Farbe von frisch geschlachtetem Fleisch hatte, auf sie zugekommen. Aus seinem Lächeln war im Traum ein wölfisches Grinsen geworden. Als sich die Börse mit einem schmatzenden Geräusch öffnete, waren die Banknoten darin mit lautem Rascheln davongeflattert.
Lissie fröstelte. Es war kalt im Zimmer. Ihr fiel ein, dass sie gestern Abend vergessen hatte, das gekippte Fenster zu schließen. Ein Windstoß bauschte die Vorhänge.
Unwirsch zerrte sie an ihrer Bettdecke, die klamm von ihrem Schweiß war. Trotz des unangenehmen Gefühls konnte sie sich nicht überwinden, die Füße aus dem Bett zu schwingen. Sie wendete die Decke, zog sie hoch bis ans Kinn und linste aus dem Spalt zwischen den Vorhängen nach draußen. Es nieselte. Was sollte sie in einem verregneten Südtiroler Kaff, in dem sie keine Menschenseele kannte außer einem Geldsack mit schlechtem Benehmen, der hinter Weibern her war? Dazu hätte sie nicht wegzufahren brauchen.
Ihr Mobiltelefon meldete sich. Alexander. Ach nee.
»Na, gut gelandet?«
»Sonst würde ich jetzt ja wohl kaum rangehen«, erwiderte Lissie spitz. »Gestern Abend hat dich das anscheinend weniger interessiert.«
Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Ich hatte noch spät Betriebsratssitzung im Verlag, und das habe ich dir auch gesagt«, versetzte Alexander frostig. »Aber du hörst ja nie zu, weil du bloß mit dir selbst beschäftigt bist. Ich bin’s bald leid. Mach’s gut.« Freizeichen. Alexander hatte das Gespräch weggedrückt.
Lissie presste ihre Lippen zusammen, und ihre Mundwinkel zogen sich nach unten. Der Vorwurf war nicht neu. Es stimmte schon, dass sie oft nicht zuhörte. Gegen das leise Störgeräusch in ihrem Kopf, das ihr vorkam wie das Surren eines überlasteten Generators, kamen in letzter Zeit viele andere Dinge einfach nicht an.
* * *
Zwei Stockwerke weiter unten warf Elsbeth Hochleitner ihrem Enkel, der gerade eine weitere Nachricht auf einer Mailbox hinterließ und ruhelos durch die riesige Küche tigerte, einen liebevollen Blick über ihre Schulter zu. Sie stand vor der Spüle und schrubbte sich die Hände mit einer Wurzelbürste. Vor einer Viertelstunde hatte sie die Restaurierungsarbeit an einer kleinen Sankt-Christophorus-Kirchenfigur abgeschlossen. Mit der Pfarrei war der heutige Tag als Abgabetermin vereinbart. Elsbeth hatte die ganze Nacht gebraucht, um fertig zu werden, obwohl die Arbeit eigentlich nicht so schwierig gewesen
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