Commissario Pavarotti trifft keinen Ton - Kriminalroman
ihrer Aussage war’s kurz vor sieben.« Er deutete mit seinem Kinn auf den ersten Stock im Nachbarhaus. »Sie ist jetzt oben in ihrer Wohnung, hat sich hingelegt. War wohl der Schock.«
»Haben wir eine Vermutung, wer der Tote ist?«
Emmenegger nickte leicht betreten. Die Richtung, in die die Unterhaltung sich entwickelte, war ihm sichtlich unangenehm. »Das ist Karl Felderer, Sie wissen schon, der Juniorchef der Felderer-Gruppe«, berichtete er stockend. »Den Felderers gehören neben dem Hotel Felderer in den Lauben –«
Pavarotti unterbrach ihn. »Ich kenne die Felderer-Gruppe. Die Details klären wir ab, wenn wir sicher sein können, dass er es wirklich ist. Ich kümmere mich um die Angehörigen und veranlasse die Identifizierung, sobald der Tote in der Gerichtsmedizin liegt.«
Emmenegger verzog das Gesicht, als ob er auf einen schmerzenden Zahn gebissen hätte. »Je nun, Commissario, ah, es ist so, der Tote ist schon offiziell identifiziert worden«, brachte er widerstrebend heraus.
Pavarotti schaute abrupt auf. »Wie bitte? Was soll das heißen?«
»Na ja, es ist so«, erklärte Emmenegger. »Die Renzingerin hat gemeint, sie erkennt ihn. Als den Felderer-Buben. Ich musste ja heute Morgen beim Chef Meldung machen. Als ich ihm den Namen gesagt hab, ist er sofort hier erschienen.« Der Sergente kratzte sich verlegen an der Brust und mied Pavarottis fassungslosen Blick. »Anscheinend kennt, ähem, kannte er den Verstorbenen gut und hat ihn, ehm, gleich am Tatort identifiziert, um die Familie zu schonen. Er ist jetzt zu denen hin, um ihnen die Nachricht beizubringen.« Emmenegger atmete tief durch. Er hatte die Beichte hinter sich gebracht und war sichtlich erleichtert.
Pavarotti starrte ihn an. »Habe ich das jetzt richtig verstanden? Signore Alberti ist hier am Tatort wie ein Elefant im Porzellanladen herumgelatscht und hat Spuren kaputt gemacht, ohne dass ihn jemand daran gehindert hätte?«
Emmenegger erwiderte nichts, sondern unterzog seine Schuhspitzen einer gründlichen Musterung.
Plötzlich schwante dem Commissario etwas. »Emmenegger! Hat Alberti die Leiche etwa auch bewegt?«
Emmenegger nickte unglücklich, den Blick weiter auf den Boden gerichtet. »Je nun, schon. Der Tote lag auf der Seite. Er hat ihn auf den Rücken gedreht, sonst hätte er ja nicht zweifelsfrei identifizieren können.«
Pavarotti stöhnte laut auf. »Emmenegger, wann war die Spurensicherung vor Ort?«
Der Sergente wirkte noch betretener als ein paar Minuten zuvor. »Erst nach Signore Alberti«, bekannte er. »Sie haben ihn sofort rausgescheucht. Aber da war’s schon zu spät.«
»Und warum in aller Welt haben Sie Ihrem Chef keinen zarten Hinweis gegeben, dass er mit seiner Aktion mindestens zwanzig Vorschriften verletzt?«, brüllte Pavarotti, dem seine professionelle Distanz mehr und mehr abhandenkam. Der Tatort war mit Sicherheit verhunzt, die Stellung der Leiche nach dem Mord wahrscheinlich nicht mehr zu rekonstruieren.
Emmenegger antwortete nur mit einem waidwunden Blick.
Pavarotti schwante, dass dieser Fall seine schlimmsten Befürchtungen übertreffen würde. Jetzt hatte auch noch der Meraner Polizeichef, ob mit Absicht oder unbewusst, das Seinige dazu getan, die Ermittlungen zu erschweren.
Pavarotti schüttelte den Kopf, konzentrierte sich dann aber wieder auf die zerschundene Gestalt am Boden. Er betrachtete die Kopfwunde, dann schaute er hoch, und sein Blick fiel auf die Hintertür der Weinstube Renzinger. Der Schlag war vermutlich geführt worden, als der Mann dicht an der Mauer gestanden hatte, dem Hinterausgang direkt gegenüber. Vermutlich war er gerade dabei gewesen, an die Wand zu pinkeln, als ihn der tödliche Schlag getroffen hatte. Pavarotti vermutete, dass Felderers Körper durch die Wucht der Attacke gegen die Wand geschleudert wurde und an ihr heruntergerutscht war. Aber das waren alles Spekulationen, da sich der Tathergang nun nicht mehr rekonstruieren ließ.
Blieb die Waffe. Nach den Wunden zu urteilen eine eher runde Form, aber da gab es vom Sandsack bis zum Golfdriver ein weites Feld von Möglichkeiten. Ein paar vorläufige Ergebnisse aus der Gerichtsmedizin, schon vor dem offiziellen Abschluss der Sektion, wären jetzt hilfreich. Aber das war natürlich illusorisch. Die Gerichtsmedizinerin war dafür bekannt, dass sie prinzipiell diejenigen Ermittlungsbeamten am längsten warten ließ, die ihre Fälle am dringendsten machten. Pavarotti merkte, wie ihn der Frust wieder überkam. Denn in
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