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Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Commissario Tron 5: Requiem am Rialto

Titel: Commissario Tron 5: Requiem am Rialto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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man hörte, wie der
Schlüssel gedreht wurde.
    Tron und Bossi sahen
einander an.
    «Er hat
abgeschlossen», sagte Bossi überflüssigerweise. Er
lief auf die andere Seite des Tresens und rüttelte an der
Tür, die sich nicht öffnen ließ. «Was hat er
vor?», sagte er zu Tron. «Verschwinden kann er nicht.
Die Fenster zum Hof sind
vergittert.»     
    «Vielleicht»,
entgegnete Tron, «fordern Sie ihn auf, die Tür zu
öffnen.» Das war kein sonderlich geistreicher Vorschlag,
aber mehr fiel Tron im Moment nicht ein.
    Bossi schlug mit der
Faust gegen die Tür. «Machen Sie auf, Signor
Grassi.»
    Was Grassi nicht tat,
denn sonst hätte er die Tür nicht abgeschlossen.
Stattdessen hörte man hektische Schritte und rumpelnde
Geräusche, so als würde Grassi nach etwas suchen. Dann
war es plötzlich still.
    Bossi machte einen
tiefen Atemzug. Dann hob er das rechte Bein und stieß seinen
Stiefel mit aller Kraft gegen das Schloss. Der Schuss fiel in dem
Moment, als der Türflügel krachend aufsprang und die
Klinke auf der anderen Seite gegen die Wand knallte.
    *
    Der Raum, den sie
vorsichtig betraten, war eine Mischung aus Werkstatt, Kontor und
Rumpelkammer. Hölzerne Bottiche, aus denen Fleischabfälle
quollen, waren auf einer Bank vor dem Fenster zu erkennen. An der
linken Wand waren zwei große, offenbar aus Frankreich
stammende Tafeln befestigt, die Seitenansichten von Rind und
Schwein präsentierten und den Betrachter über die Lage
von filet,
entrecote, queue und lende de tranche aufklärten. In
der Mitte des Raumes stand ein Tisch, auf dem zwei Fasane, ein
Hase, Knochen und diverse Messer lagen. An der Decke hing eine
Petroleumlampe, die Grassis Sturz und die Detonation des Revolvers
offenbar in eine schwankende Bewegung versetzt hatten, sodass
flackernde Lichtstreifen über den Tisch huschten. Ein scharfer
Korditgeruch hing im Raum und vermischte sich mit dem Gestank
verbrannter Haare.
    Grassi lag neben dem
Tisch. Er war auf die Seite gestürzt, und das Einschussloch an
seiner rechten Schläfe, umgeben von einem Kranz
schwärzlich verbrannter Haare, war nicht zu übersehen. Er
hielt den Revolver noch in der Hand, und seine geöffneten
Augen starrten auf das Bild des französischen Schweins an der
Wand. Grassis Mund hatte sich zu einem tölpelhaften Grinsen
verzogen, so als bereite ihm der Anblick des Schweins ein bizarres
Vergnügen.   
    Tron, der zusammen mit
Bossi neben Grassis Leiche niedergekniet war, erhob sich nun
schweigend. Und dann sah er etwas, das seiner Aufmerksamkeit
entgangen war — etwas, das man eher im Behandlungszimmer
eines Arztes erwartet hätte als in einer
Macceleria.
    Unter den Tafeln von
Schwein und Rind hingen zwei Bogen aus einem großen
Anatomieatlas, handkolorierte Drucke im Folioformat. Sie waren
sorgfältig aus dem Atlas herausgetrennt, in der Mitte
geglättet und mit kleinen Nägeln auf dem Putz befestigt
worden. Der eine Bogen zeigte die Organe, die sich im unteren Teil
des menschlichen Körpers befanden, der andere die Organe des
oberen Teils.
    Bossi hatte sich
ebenfalls erhoben. Auch er schien die anatomischen Bogen jetzt
entdeckt zu haben. Tron sah, wie der Ispettore stutzte, einen
Schritt auf die Wand zuging und sich herabbeugte. Schließlich
drehte Bossi sich um. Seine Augenbrauen waren fragend
emporgezogen.
    «Der
Fall», sagte Tron, «könnte gelöst
sein.»

15
    Im Lauf des
Nachmittags war es kälter geworden, und Tron war froh, bei der
Principessa zu Abend zu speisen und nicht im eisigen Palazzo Tron
— in der sala degli arrazzi, wo einem an
Wintertagen der Atem in kleinen Wolken aus dem Mund strömte.
Im großen Speisezimmer der Principessa hingegen war es
ausgesprochen gemütlich. Ein riesenhafter Kachelofen
verbreitete wohlige Wärme, und die vom Steinfußboden
aufsteigende Kälte hielt ein großer Aubussonteppich in
Schach. 
    Es hatte als
Hauptgericht Cailles aux raisins gegeben, Wachteln mit
Weinbeeren, lautlos serviert von Massouda und Moussada. Als sie
abräumten, war Tron mit seinem Bericht über Grassis Tod
zu Ende gekommen und musste noch einmal an die Bogen aus dem
Anatomieatlas denken, die Grassi an der Wand seiner Werkstatt
befestigt hatte. Alles schien perfekt zusammenzupassen.
    Vielleicht zu perfekt?
Möglicherweise. Spaur jedenfalls hatte die Akte für
geschlossen erklärt und Tron zu seinem schnellen
Fahndungserfolg gratuliert. Seine Freude über Grassis Tod
hatte der Polizeipräsident nicht verhehlt. Auf diese Weise war
keine Gerichtsverhandlung

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